Überschwemmungen, Hitze und Brände: Die Folgen der Klimaerwärmung sind in Europa deutlich zu spüren. Die EU muss dringend Maßnahmen ergreifen, um besser auf die Krise vorbereitet zu sein. Doch Fachleuten zufolge geht das viel zu langsam.
Europa bereitet sich einer EU-Behörde zufolge unzureichend auf die Auswirkungen der zunehmenden Klimaerwärmung vor. Die europäischen Strategien und Anpassungsmaßnahmen hielten nicht mit den sich rasant verschärfenden Risiken Schritt, teilte die Europäische Umweltagentur (EEA) am Montag (11. März) zu ihrem ersten Bericht zur Bewertung des Klimarisikos für Europa (EUCRA) mit. Viele Maßnahmen benötigten einen langen Zeitraum.
Was jetzt getan werden muss
„Um die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften sicherzustellen, müssen die europäischen und nationalen politischen Verantwortlichen jetzt handeln, damit die Klimarisiken sowohl durch rasche Emissionssenkungen als auch durch entschlossene Anpassungsstrategien und -maßnahmen verringert werden“, sagt EEA-Exekutivdirektorin Leena Ylä-Mononen.
Europa ist laut EEA der sich am schnellsten erwärmende Kontinent. Seit den 1980er Jahren war die Erwärmung auf dem europäischen Festland demnach etwa doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt.
Mehr als 30 Risiken identifiziert
Forscher benennen in dem Bericht 36 große Klimarisiken: von Auswirkungen der Dürre und Hitze, Überschwemmungen, über Brände bis hin zu finanziellen Folgen. Insgesamt nennen die Fachleute fünf große Bereiche, in denen die Klimaentwicklungen existenzielle Bedrohungen darstellen: Ökosysteme, Ernährung, Gesundheit, Infrastruktur sowie Wirtschaft und Finanzen.
- Landwirtschaft: So beträfen die Risiken, die durch Hitze und Dürre für den Nutzpflanzenanbau entstehen, nicht nur den Süden, sondern auch die Länder Mitteleuropas. „Insbesondere anhaltende und weiträumige Dürren stellen eine erhebliche Bedrohung für die Erträge, die Ernährungssicherheit und die Trinkwasserversorgung dar“, teilt die EEA mit.
- Gesundheit: Hitze sei das größte und dringendste Klimarisiko für die menschliche Gesundheit, schreiben die Forschenden. Besonders gefährdet sind demnach Menschen, die im Freien arbeiten, ältere Menschen und Personen, die in schlecht isolierten Wohnungen oder in städtischen Gebieten mit starkem Wärmeinseleffekt leben. In Südeuropa entstehe durch Hitze und Dürren zudem ein erhebliches Risiko für die Energieerzeugung und -übertragung.
- Wirtschaft: Auch das europäische Wirtschafts- und Finanzsystem sei betroffen, schreibt die EEA. Klimaextreme könnten beispielsweise zur Erhöhung von Versicherungsprämien führen, Vermögenswerte und Hypotheken gefährden und höhere Ausgaben und Kreditkosten für den Staat nach sich ziehen.
Katastrophale Folgen befürchtet
- Kritisches Niveau: Viele der identifizierten Klimarisiken in Europa haben laut der Auswertung bereits ein „kritisches Niveau“ erreicht. Bei mehr als der Hälfte (21 von 36) benötige es unverzüglich mehr Engagement und Handlungstempo. Acht der Risiken seien sogar „besonders dringlich“. Ökosysteme, die Menschen vor Hitze schützen, müssten erhalten bleiben. Gleichzeitig müssten Menschen und Bauwerke vor Überschwemmungen und Waldbränden geschützt werden.
- Katastrophales Ausmaß: „Wenn jetzt nicht entschieden gehandelt wird, könnten die meisten der festgestellten Klimarisiken bis zum Ende dieses Jahrhunderts ein kritisches oder katastrophales Ausmaß erreichen“, heißt es im Bericht. „«Hunderttausende von Menschen würden durch Hitzewellen sterben, und allein die wirtschaftlichen Verluste durch Überschwemmungen an den Küsten könnten mehr als eine Billion Euro pro Jahr betragen.“
- Exorbitante Schäden: Je nach ihrer Art habe jede dieser Risiken für sich genommen das Potenzial, erhebliche Umweltschäden, wirtschaftliche Schäden, soziale Notlagen und politische Turbulenzen zu verursachen. In Kombination dürften die Auswirkungen demnach noch viel drastischer sein.
Besonders gefährdete Regionen Europas
- Südeuropa: Zu den Hotspots der von Klimarisiken gefährdeten Regionen zählt laut dem Bericht Südeuropa. Länder im Süden sind besonders durch Waldbrände, Hitze und Wasserknappheit betroffen. Neben den Auswirkungen auf die Landwirtschaft und allgemein hoher Brandgefahr sei die Gesundheit der Menschen eminent gefährdet. „Im Sommer 2022 waren in Europa zwischen 60 000 und 70 000 vorzeitige Todesfälle auf die Hitze zurückzuführen. Das Hitzerisiko für die Bevölkerung ist in Südeuropa, aber auch in vielen Städten, bereits kritisch“, betont Ylä-Mononen.
- Küstenregionen: Doch auch tief liegende Küstenregionen einschließlich vieler dicht besiedelter Städte seien Brennpunkte für Klimarisiken. Der Meeresspiegel an Europas Küsten steigt jedes Jahr mit zunehmender Geschwindigkeit an. Das erhöhe die Gefahr von Überschwemmungen und Sturmfluten, so die EEA. „Der Meeresspiegel wird weiter ansteigen, noch Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende weiter, nachdem sich die globalen Temperaturen stabilisieren“, schreiben die Experten in ihrem Bericht.
„Die neue Normalität“
Wirksame Anpassungsmaßnahmen sowie verstärkte gesellschaftliche Vorsorgemaßnahmen könnten dazu beitragen, diese negativen Auswirkungen in Zukunft zu begrenzen oder zu verringern. Um die Klimarisiken in Europa anzugehen, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten laut der EEA-Bewertung zusammenarbeiten und auch die regionale und lokale Ebene einbeziehen.
„Unsere neue Analyse zeigt, dass Europa mit dringenden Klimarisiken konfrontiert ist, die sich schneller entwickeln als unsere gesellschaftliche Vorsorge“, warnt Ylä-Mononen. „Dies ist also die neue Normalität. Und es sollte ein Weckruf sein, der letzte Weckruf.“
Info: Menschheit in der evolutionären Falle
Klimaabkommen
Um einen Klimawandel mit katastrophalen Folgen abzuwenden, hatte die Weltgemeinschaft 2015 im Pariser Klimaabkommen vereinbart, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst aber auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.
Erderwärmung
Laut einer aktuellen Prognose der UNO bewegt sich die Erde angesichts weiter steigender Treibhausgas-Emissionen derzeit aber auf eine gefährliche Erwärmung um 2,5 bis 2,9 Grad bis zum Jahr 2100 zu. Laut der WMO waren die vergangenen neun Jahre die neun wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Allein das Jahr 2023 habe bereits eine ganze Reihe von Klimarekorden gebrochen.
Evolutionäre Falle
Die Menschheit läuft Gefahr, sich selbst in ihrer Entwicklung in Sackgassen zu manövrieren, aus der es kaum noch ein Entrinnen gibt. Wenn sich Merkmale, die für die Evolution einer Gattung einst vorteilhaft waren, sich aufgrund von Umweltveränderungen plötzlich nachteilig auswirken, spricht man von einer Evolutionären Falle oder Evolutionären Diskrepanz.
Mismatch-Theorie
Der Begriff Evolutionäre Falle oder Evolutionäre Diskrepanz wird in der Evolutionsbiologie auch als Mismatch-Theorie bezeichnet. Damit ist Folgendes gemeint: Merkmale, die sich in der Evolution herausgebildet und für die Entwicklung einer Spezies als vorteilhaft erwiesen haben, können sich aufgrund von veränderten und zu schnell sich wandelnden Umweltbedingungen als negativ herausstellen und den Entwicklungsprozess der Gattung behindern - und im Extremfall beenden. Dies kann beim Mensch und bei Tieren stattfinden und wird oft auf schnelle Umweltveränderungen zurückgeführt. Die Mismatch-Theorie beschäftigt sich folglich mit der Idee, dass Merkmale, die sich in einem Organismus in einer bestimmten Umwelt entwickelt haben, in einer anderen Umgebung nachteilig sein können.
„Acht Todsünden“
Einer der Hauptvertreter dieser Theorie ist der österreichische Zoologe und Medizin-Nobelpreisträger von 1973, Konrad Lorenz (1903-1989). In seinem Buch „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ aus dem Jahr 1973 untersucht der Verhaltensbiologe jene Vorgänge, die nach seiner Ansicht zur „Dehumanisierung der Menschheit“ beitragen. Diese acht Prozesse sind: (1) Überbevölkerung, (2) Verwüstung des natürlichen Lebensraums, (3) übermäßige Beschleunigung aller gesellschaftlichen Prozesse, (4) Drang zu sofortiger Befriedigung aller Bedürfnisse (Hedonismus), (5) genetischer Verfall wegen des Wegfalls der natürlichen Auslese, (6) Verlust bewährter Traditionen, (7) zunehmende Indoktrinierbarkeit, (8) Kernwaffen.