Am Samstag gab es beim SPD-Parteitag Jubel für einen Kanzler in schwierigen Zeiten. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Olaf Scholz spricht in einer schwierigen Situation vor dem SPD-Parteitag. Lässt sich die Haushaltskrise der Ampel lösen? Am Ende bestellt ausgerechnet der Chef der Jusos Führung beim Kanzler.

Olaf Scholz weiß, was die SPD jetzt hören möchte. Und er gibt es ihr.

Drohen in der Haushaltkrise Einsparungen bei den Sozialleistungen, wie es in den vergangenen Wochen immer wieder öffentlich diskutiert wurde? „Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben“, ruft Scholz auf dem Parteitag in Berlin in den Saal. Der Sozialstaat gehöre zur DNA des Landes und zu den Grundlagen des deutschen Wohlstands. Der Parteitag hört es – und wird es später mit stehendem Applaus belohnen.

Der Kanzler wird sogar noch etwas konkreter und geht auf die Debatte zum Bürgergeld ein, dessen geplante Erhöhung in den vergangenen Wochen immer wieder von Union und FDP infrage gestellt wurde. „Man muss in solchen Situationen auch mal widerstehen“, sagt Scholz. Das ist einigermaßen deutlich.

Botschaften in abgestufter Klarheit

Wie würde der Kanzler am Samstag beim Auftritt vor den eigenen Reihen schlagen? Auf diese Frage hatten einige in der SPD nervös geschaut. Scholz‘ öffentliches Ansehen ist angeschlagen, seit das Verfassungsgericht die Umwidmung von Corona-Krediten für den Klimaschutz und die Förderung der Industrie gestoppt hat. Der Kanzler muss mit Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) eine Einigung für den Haushalt 2024 finden. Und weil das gerade mit Lindner schwierig ist, hat Scholz sich bislang öffentlich zurückgehalten, um eine Lösung nicht zu erschweren. Währenddessen sind die Zustimmungswerte in der Bevölkerung zu Scholz immer weiter in den Abgrund gerutscht.

Beim Auftritt vor den eigenen Delegierten – so viel war sicher – würde es zumindest ein bisschen mehr Klarheit brauchen. Scholz hat Botschaften mitgebracht, wenn auch nicht alle gleichermaßen konkret: Am deutlichsten ist das Nein zu einem Abbau des Sozialstaats. Hier wird der Kanzler sich in- und außerhalb der eigenen Partei an seinen Worten vom Parteitag messen lassen müssen.

Scholz macht zudem klar: Die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Klimaneutralität, die Energiewende – all das müsse mit hoher Geschwindigkeit weiter vorangetrieben werden. Das klingt nicht danach, als könnte der Staat aus Sicht des Kanzlers hier die geplanten Mittel für Investitionen nach Belieben zusammenstreichen. Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner werden genau hingehört haben. Und: Auch in Sachen Aussetzung der Schuldenbremse lässt sich eine Botschaft an Lindner aus Scholz‘ Rede heraushören.

Aber der Reihe nach. Als Scholz seine Rede beginnt, könnte man zunächst den Eindruck haben, er verfährt nach einem Verfahren, mit dem sich schon manch ein Schüler durch eine mündliche Prüfung gemogelt hat: Wenn du eine Antwort nicht weißt, rede möglichst ausführlich zu anderen Themen.

Scholz lobt die Gemeinsamkeit in der Partei, die ihn bis ins Kanzleramt getragen habe. Er zählt auf, was die Sozialdemokraten alles in der Ampelregierung durchgesetzt hätten: von Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente über die Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag bis hin zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns. Scholz spricht über die Krise in Nahost und über den Krieg in der Ukraine.

Die Botschaft an Christian Lindner

Hier schickt Scholz seinen Botschaften unterstützt von Handkantenschlägen am Rednerpult in den Saal. Er spricht vom „furchtbaren Angriff“ des russischen Präsidenten Putin auf die Ukraine. Scholz verweist auf seinen Satz von der Zeitenwende. „Wir wollen das kleine Länder sich nicht vor ihren großen Nachbarn fürchten müssen. Das ist Frieden und Sicherheit in Europa“, sagt er. Die Regierung habe auch gegen die ökonomischen Folgen des Krieges kämpfen müssen. „Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben Deutschland durch diesen Winter gebracht“, ruft Scholz. Und er erhält großen Applaus.

Interessanter aber ist die Botschaft, die nicht ganz offensichtlich daherkommt. Der Kanzler sagt, Deutschland unterstütze die Ukraine weiter bei ihrem Verteidigungskampf. Putin dürfe nicht damit rechnen, dass die Unterstützung nachlasse. „Deshalb müssen wir auch Entscheidungen treffen, die uns in der Lage halten, das tun können“, sagt Scholz schließlich. Dieser Satz ist an jemanden gerichtet, der nicht im Raum ist: FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner. Er ist – auch wenn Scholz das nicht so sagt – die Blaupause für die Begründung, mit der sich aus Sicht des Kanzlers die Schuldenbremse noch einmal aussetzen ließe.

Doch wird Lindner sich darauf einlassen? Scholz sagt mit Blick auf den Haushalt für das Jahr 2024: „Wir stehen nicht vor einer unlösbaren Aufgabe. Es müssen sich jetzt nur alle verständigen.“ Dann sagt er aber auch, es sei eine schwierige Situation – „insbesondere, wenn man das nicht nur so machen kann, wie man das selber richtig findet, sondern sich auch noch mit anderen einigen muss“.

Der Elefant im Raum

Juso-Chef Philipp Türmer reichen diese Worte nicht aus. „Lieber Olaf, wer aus der Defensive will, muss Angriff spielen“, sagt er. „Du bist der Chef der Regierung, nicht der Paartherapeut von Robert und Christian.“ Türmer betont: Die Menschen wollten, dass der Kanzler entscheidet. „Sie wollen keinen Moderator der Macht“, sagt der Juso-Chef. „Auch wenn wir hier drei Mal aufstehen während deiner Rede, ist davon die Haushaltskrise noch nicht gelöst“, sagt Türmer mit Blick darauf, dass die Rede von Scholz auf dem Parteitag gut angekommen ist.

„Olaf, du hast mal gesagt: Wer Führung bestellt, der soll sie bekommen“, ruft Türmer. „Hiermit bestelle ich sie“, sagt er. „Setz diesem Haushaltsdrama ein Ende, setz die Schuldenbremse auch 2024 aus und beende die Regierungskrise.“

Ob der Kanzler hier liefern kann, entscheidet er nicht allein – sondern insbesondere auch Christian Lindner. Den Elefanten im Raum hat Scholz in seiner Rede gar nicht angesprochen: die Antwort auf die Frage, wo genau er eigentlich Einsparungen vornehmen möchte, damit der nächste Haushalt zustande kommt.

Scholz hat der SPD so einiges gesagt, was sie gern hören wollte. Viele in der Partei und auch im Land warten jetzt gespannt, was sie nach dem Parteitag vom Kanzler hören werden.