Mehr als früher müssen sich Menschen auch in Stuttgart vor Hitze und brennender Sonne schützen (Archivbild). Foto: dpa/Marijan Murat

Heute ist deutlich heißeres Wetter normal als in der Jugendzeit der heutigen Eltern und Großeltern – an rund 300 Tagen im Jahr, zeigen Daten. Doch die menschliche Wahrnehmung passt nicht zum Klimawandel.

Wie heiß war es vor 60 Jahren im Sommer? Wer damals schon bewusst gelebt hat, wird sich nur selten im Detail daran erinnern. Im Gedächtnis geblieben sind am ehesten Anekdoten: Hitzefrei in der Schule, sonnige Nachmittage am See. Heiß war es damals auch schon, zumindest nicht nennenswert kühler. Oder?

Die Geschichte, die die Daten unseres Projekts „Klimazentrale Stuttgart“ erzählen, ist eine andere. Es ist eine Geschichte von der messbaren Realität des Klimawandels, die nicht immer zur menschlichen Wahrnehmung passt – denn das, was als „normales“ Wetter gilt, hat sich im Laufe der Jahrzehnte verschoben, und zwar hin zu höheren Temperaturen, Tag für Tag.

Das „normale“ Wetter ist im Jahresverlauf wärmer geworden

Um ungewöhnlich warme oder kühle Tage zu bestimmen, vergleichen wir die heute typischen Temperaturen mit den Werten aus früheren Jahrzehnten. Wir errechnen für jeden einzelnen Tag einen Normalbereich – für die Jahre 1961 bis 1990 sowie 1991 bis 2020. Als „normal“ definieren wir alle Werte, die nicht im wärmsten oder kühlsten Fünftel liegen.

Vergleicht man die Normalbereiche der beiden Zeiträume, dann zeigt sich: Sie haben sich verschoben, und zwar deutlich. Heute sind die Sommer heißer, die Winter milder. Die täglich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) am Stuttgarter Schnarrenberg gemessenen Höchstwerte liegen heute zwei Grad, manchmal drei oder vier Grad über dem, was die heutige Eltern- und Großelterngeneration in ihrer Jugend kennengelernt hat. Das Schaubild zeigt die Temperaturkurve im Jahresverlauf. Grau ist das, was 1961 bis 1990 als normal galt, gelb und damit deutlich höher sind die seit 1991 typischerweise gemessenen Temperaturen.

An rund 300 Tagen im Jahr liegt die Obergrenze der normalen Temperatur heute über dem, was bis 1990 als normal gelten konnte. Heiß wurde es schon damals – es war aber die Ausnahme, die damals als außergewöhnlich empfundenen Werte werden heute vielfach als normal wahrgenommen. Ähnliches gilt für kühle Tage: Wenn es heutzutage einmal relativ kühl ist, fällt das viel mehr auf, weil man höhere Temperaturen gewohnt ist. Das ließ sich in diesem Jahr gut am vermeintlich zu kühlen Frühjahr nachvollziehen.

Kühler als noch vor dreißig, vierzig Jahren ist der Normalbereich höchstens an einzelnen Tagen in den Übergangsmonaten April, Mai, September, Oktober und November – wenn die Temperaturen ohnehin häufig stark schwanken. Besonders konstant ist die Verschiebung des „Normalen“ hin zu höheren Temperaturen dagegen im Winter, über weite Teile des Frühjahrs hinweg – und eben im Sommer.

Die Wetter-Erinnerungen können trügen

Solche Verschiebungen sind zu langsam, als dass der Mensch sie bewusst wahrnehmen kann. Erst die Daten machen sie sichtbar. „Wir erinnern uns nicht an Normwerte oder an das Wetter als eine unabhängige Größe, sondern es geht eigentlich um unser eigenes Leben und unsere Emotionen“, sagt die Psychologin Anika Heck. Erinnerungen sind viel zu subjektiv, um den Klimawandel jenseits von einzelnen Ereignissen wahrnehmen zu können.

Menschen erinnern sich vor allem an Extremereignisse und an emotional besetzte Erlebnisse: „Wenn es zum Beispiel das Jahr war, in dem man zum ersten Mal mit Freunden alleine ins Freibad durfte, dann wird sich vielleicht eine Periode von gerade einmal zwei heißen Wochen ins Gedächtnis einbrennen“, erklärt Heck, die bei der Klimaschutzgruppe Psychologists for Future aktiv ist. „Man speichert ab: Ich war in meiner Kindheit den ganzen Sommer im Freibad.“

Vorwerfen könne man das niemandem, betont Heck – das sei schließlich ganz natürlich. Am ehesten lassen sich Handlungen ins Gedächtnis rufen – zum Beispiel mit der Frage, wie häufig man früher mit dem Regenschirm aus dem Haus musste und wie lange es heutzutage trocken bleibt.

Steigende Temperaturen nicht unterschätzen

Auch vor Jahrzehnten schon sprach man von Hitze, meinte teils aber viel niedrigere Temperaturen als heute. Das illustriert ein Beispiel aus der Stuttgarter Zeitung vom Juni 1977: Damals stöhnten die Menschen laut einem Bericht wegen der als „Überhitzung“ bezeichneten Temperaturen. Gemessen wurden 28 Grad. Heutige Hitzewellen mit bis zu 40 Grad sprengen diesen Rahmen ohne Weiteres.

In der Klimaforschung gibt es Hinweise darauf, dass Menschen das Wetter der letzten zwei bis acht Jahre als Maßstab nehmen – und dass Extreme wie Hitzewellen schnell ihre Signalwirkung verlieren, wenn sie sich in rascher Folge wiederholen. Zugleich befürchtet Anika Heck, dass viele Menschen immer noch unterschätzen, wie sehr sich schon jetzt die neue Sommerrealität stärkerer Hitze und längerer Trockenphasen auf ihr Leben auswirkt: „Die Erkenntnis, dass wir uns in einem konstanten Anstieg der Temperatur befinden und nicht mehr nur einzelne Extreme erleben, überrascht immer noch viele Leute.“

Neben dem Klimaschutz, der die Erhitzung bremsen soll, ist in den letzten Jahren die Anpassung an den Klimawandel getreten. Sie umfasst auch das eigene Verhalten – sei es durch Trinkwassersparen oder mehr Vorsicht vor Hitze. Eben weil der Körper sie nicht mehr so leicht wegsteckt wie in früheren Jahrzehnten.