In diesem Jahr erreicht Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel – aber langfristig wird das schwer. Foto: AFP/Daniel Roland

56 Milliarden Euro sollen es sein, die der Bundeswehr ab 2028 fehlen. Das geht aus einem Dokument hervor, über das nun berichtet wird. Experten sind nicht überrascht.

Es ist Haushaltswoche im Bundestag, es geht ums Geld. Die ganze Woche lang diskutieren Ampelkoalition und Opposition, wofür wie viel ausgegeben werden muss. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius sitzt am Mittwoch in der Generaldebatte auf der Regierungsbank. Während Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) den Reden lauschen, tippt er eifrig auf seinem Telefon herum. Manchmal blättert er in einer grünen Mappe. Es gibt viel zu tun. Denn am Mittwochmorgen wird eine Übersicht des Verteidigungsministeriums bekannt, die auch unserer Redaktion vorliegt. Diese zeigt, wie dünn die Finanzierung dessen ist, was Kanzler Olaf Scholz vor zwei Jahren als „Zeitenwende“ ausgerufen hat.

56 Milliarden Euro fehlen

Das Problem wird von Verteidigungsexperten schon lange diskutiert, doch nun ist es erstmals mit einer Zahl versehen: 56 Milliarden Euro fehlen dem Verteidigungsministerium ab 2028 laut einem Dokument, über das als Erstes der „Spiegel“ berichtet hat. Dass die künftige Finanzierung der Bundeswehr so gefährdet ist, schockt Kenner der Materie nicht. „Die Zahlen überraschen nicht, sprechen eine klare Sprache und sind mit einfacher Mathematik zu berechnen“, sagt Andreas Schwarz (SPD), zuständiger Haushaltspolitiker für das Verteidigungsressort, unserer Redaktion.

Mehr Wachstum, mehr Verteidigungsausgaben

Das Grundproblem: Deutschland hat der Nato versprochen, zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben. Da die Wirtschaft erfahrungsgemäß langfristig immer wächst, müssen auch die Verteidigungsausgaben steigen. Derzeit erfüllt Deutschland erstmals die Quote. Allerdings mit einigen Rechentricks und nur, weil zusätzlich zum regulären Verteidigungshaushalt Geld aus dem Sondervermögen der Bundeswehr ausgegeben werden kann. Insgesamt gibt Deutschland in diesem Jahr 73 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus.

Doch wie finanziert man die Bundeswehr, wenn der letzte Euro des derzeitigen Sondervermögens ausgegeben ist? „Wir benötigen ein weiteres Sondervermögen und eine Anpassung der Schuldenbremse für die Zukunftsinvestitionen“, sagt Schwarz. Er betont: „Das wäre ein klares Signal an die Truppe, Industrie und Bündnispartner, dass die Zeitenwende lebt.“

Reform oder Sondervermögen?

Ohne Sondervermögen müssten pro Jahr mindestens 20 Milliarden Euro im regulären Etat aufgetrieben werden. Andere Häuser müssten massiv sparen. Sebastian Schäfer, der für die Bundeswehr zuständige Haushälter bei den Grünen, sagt, die notwendigen Mittel für die Streitkräfte könnten nicht durch Einsparungen an anderer Stelle geleistet werden. Er fordert zudem, Sicherheit breiter zu denken und auch die Widerstandsfähigkeit der Infrastruktur zu verbessern, was ebenfalls Investitionen erfordere – und kommt zu einem ähnlichen Schluss wie sein Koalitionskollege: „Ohne eine Reform der Schuldenbremse kann dies nur mit einem weiteren großen Sondervermögen finanziert werden.“

Bei der Bundesregierung wiegelt man ab. „Die Planung für die Aufstellung des Haushaltsplans bis 2028 beginnt ja erst. Insofern kann man jetzt mit Zahlen noch überhaupt nicht umgehen“, sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums mit Blick auf die 56-Milliarden-Lücke. Er verweist auch darauf, dass das vorliegende Papier nur den Etat des Verteidigungsministeriums zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato berücksichtige. Dabei spielten auch andere Ausgaben eine Rolle. In der Tat ist das Verteidigungsministerium kreativ, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. So werden etwa auch Zinszahlungen oder Kindergeldzahlungen an Bundeswehrsoldaten darunter gefasst. Das Grundproblem der langfristigen Finanzierung bleibt aber ungelöst.

Kreativ gerechnet

Ingo Gädechens (CDU), Haushaltspolitiker der Union, fordert daher eine „Kurskorrektur“. Er sagt, der Verteidigungskernhaushalt müsse so schnell wie möglich signifikant aufwachsen. „Denn 2028 wird niemand – egal wer regiert – von heute auf morgen 56 Milliarden Euro in den Verteidigungshaushalt umschichten können.“ Es bleibt viel zu tun. Mindestens für Pistorius – wohl auch für seine möglichen Nachfolger.