Sarah Wiener und Paul Ivić werden beim Treffpunkt Foyer über Essen sprechen. Foto: Lena Giovanazzi , Ingo Pertramer/ Brandstätter Verlag/Collage: Laura Hoss

Was müssen wir essen, damit die Welt überlebt? Warum müssen wir bei den Kleinen anfangen, um Großes zu bewirken? Und welche Verantwortung tragen Politiker und Gastronomen? Köchin und Politikerin Sarah Wiener und der vegetarische Sternekoch Paul Ivić sind am 18. Januar zu Gast beim Treffpunkt Foyer unserer Zeitung.

„Du bist, was du isst“, ist eine alte Binse – und die Entgegnung darauf war wahrscheinlich nie vielfältiger als im Moment. Essen müssen wir alle. Was die Menschen sich zuführen, ist heute aber ein kontroverser Ausgangspunkt so mancher Diskussion. Zwei, die sich nicht nur von Berufs wegen mit Ernährung auseinandersetzen, sind die Politikerin Sarah Wiener und der Spitzenkoch Paul Ivić , die am 18. Januar beim Treffpunkt Foyer zu Gast sein werden.

Mythen um das Thema Ernährung

Nicht nur am Fleisch scheiden sich die Geister. Auch an Zucker und Zusatzstoffen. An Slow Food und Fast Food. Mehr Wasser, weniger Fleisch, Pflanzenöle statt Butter. Es gibt die Laktoseintoleranten, die Fruktarier, die Glutenfreien, die Omnivoren und die Veganer und so weiter und so fort. Man könnte die Aufzählung ewig weiterführen.

Um das große Thema Ernährung drehen sich mindestens genauso viele Mythen wie gefühlte Wahrheiten. Ein wenig Licht ins Dunkel können die beiden Gastronomie-Experten Sarah Wiener sowie Paul Ivić beim Treffpunkt Foyer unserer Zeitung bringen.

Durch eine Krise zum Gemüsekoch

Weltweit gibt es nur wenige vegetarische Restaurants mit einem Michelin-Stern: Eines davon ist das Tian in Wien von Ivić . Der Küchenchef ist durch eine persönliche Krise zum Gemüsekoch geworden und sagt: „Wir haben einen generellen Systemfehler – vor allem in der Lebensmittelindustrie und in den Bereichen der Fleisch-, Fisch-, Gemüse- oder Obstindustrie. Das ist für mich teilweise schon kriminell.“ Man ist leicht erstaunt, dass die Tiroler Speckknödel seiner Mutter immer noch sein Lieblingsgericht sind, versteht aber mehr, wenn man auf seine Lebensgeschichte schaut: Er wächst in einem Dorf auf, als das Thema „No Waste“ noch nicht Trend, sondern unvermeidliche Überlebensstrategie ist. Der Tiroler Bub verweigert das Essen in der Schule, weil ihm lieblos Aufgewärmtes vorgesetzt wird.

„Ich habe mich und meine Gäste vergiftet“

Ivić wird Koch und serviert, was von ihm verlangt wird: Schnelle Ware, die nicht nur satt, sondern vor allem Profit macht. „Ich habe mich und meine Gäste vergiftet“, sagt Ivić. Er geht schlecht mit seinem eigenen Körper um, schlittert in einen Burn-out und ist auf dem besten Weg zu einer Herzkranzverengung. Der behandelnde Arzt attestiert ihm ein hohes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt. Heute führt er seit mehr als zwölf Jahren seine vegetarischen Restaurants – und fordert vor allem ein radikales Umdenken in unserer Ernährung. Denn: „Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme.“ Seine Rezepte teilt er in dem Buch „Restlos Glücklich“.

Konsequent in ihrer Haltung ist auch Sarah Wiener. Die 61-Jährige, die als Fernsehköchin bekannt wurde, ist heute hauptberuflich Politikerin im Europäischen Parlament. „Essen ist die Basis unserer Existenz“, sagt Wiener. „Das sind meine Lebensthemen. Hier wird die Qualität von Lebensmitteln und über Landwirtschaft verhandelt.“ Für sie ist Essen klar politisch. „Ernährung hat mit Handel, Gerechtigkeit, Biodiversität, Handwerk und vielem mehr zu tun. In manchen Ländern ist sie ein Druckinstrument. Es sind genug Kalorien für alle da, aber die Verteilung ist politisch nicht gewollt, sonst hätten wir sie“, sagt Wiener. Und fügt an: „Es geht am Ende ums Geld und darum, wer uns unseren Teller und damit auch unsere Gesundheit serviert.“

Jedes Kind sollte die Chance haben, gesundes Essen zu bekommen.

Sarah Wiener ist Köchin, Unternehmerin und Landwirtin, sie pendelt zwischen Straßburg und Brüssel sowie dem Bauernhof Gut Kerkow in Brandenburg. Sie wächst in Wien auf, geht Anfang der 80er Jahre nach Berlin und macht Kochen zu ihrem Beruf. Sie steigt ins Filmcatering ein und eröffnet 1999 ihr erstes Restaurant.

2007 gründet sie die Sarah-Wiener-Stiftung. Die Initiative „Ich kann Kochen!“ setzt praktische Ernährungsbildung vor Ort in Kitas und Grundschulen um. Sie sieht, wie Kinder heute aufwachsen, weiß, welche Probleme Familien meistern müssen. Schokoriegel am Kiosk, Fast Food in der Mensa, Süßes in der Pause, Chicken Nuggets in der Imbissbude – Kinder haben eigentlich keine Chance, sich vor schlechter Ernährung zu schützen.

Paul Ivić sagt, dass gutes Essen das Grundrecht jedes Kindes sein müsste. Egal mit welchem finanziellen Hintergrund Kinder aufwachsen: Jedes Kind sollte die Chance haben, gesundes Essen zu bekommen. Denn die Zahlen sind alarmierend: Etwa jedes sechste Kind ist laut Robert-Koch-Institut in Deutschland übergewichtig oder adipös. Unter den 11- bis 13-Jährigen ist es sogar jedes fünfte. Die Gründe dafür sind vielfältig – neben Bewegungsmangel, zu viel digitaler Ablenkung und Coronapandemie-Nachwirkungen liegt es natürlich vor allem an der Ernährung – an Chips, Tiefkühlpizza und zuckersüßen Softdrinks.

Zucker, Fette und Salz sind in Fertigprodukten

Kern des Problems ist die Lebensmittelindustrie: Zucker, Fette und Salz sind in Fertigprodukten. Eine Sonderauswertung des Max-Rubner-Instituts sowie des Landwirtschaftsministeriums ergab, dass Produkte mit Kinderoptik teils sogar mehr Zucker oder Fett enthalten als vergleichbare Artikel, die nicht explizit an Kinder gerichtet sind.

So möchte Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) Werbeverbote für Lebensmittel für Kinder. Die Köchin und EU-Abgeordnete Sarah Wiener setzt sich seit vielen Jahren für bessere Ernährung in Kindergärten und Schulen ein. Sie ist wütend auf das System, hochverarbeitete Lebensmittel sind ihr ein Graus. Wiener: „Wir haben die Ernährungssouveränität über unseren eigenen Körper verloren. Wir werden fremdgefüttert, und zwar von einer Nahrungsmittelindustrie, die billig, gleichmäßig, intransparent, Ökologie zerstörend und gesundheitszerstörend ist.“

Fleischkonsum geht zurück

Was aber tun? Wie kann jeder Einzelne etwas bewirken? Was müssen Kindergärten und Schulen leisten? Welche Verantwortung tragen Gastronominnen und Gastronomen und vor allem die Politik?

Der Fleischkonsum ist rückläufig. Doch ist es mehr als bloß ein Trend? Die Kühlregale sind voll von Burger-Patties oder Geschnetzeltem aus Erbsenproteinen. Noch vor ein paar Jahren kannte niemand Hafermilch und vegane Würstchen. Jetzt sind die Möglichkeiten groß, und vor allem: Die Nachfrage ist da. Das haben auch die Sterneköche längst erkannt.

Für Vegetarier sind die Zeiten, als sie nur die Bratkartoffeln serviert bekamen, passé. Stand 2023 ernähren sich 23 Prozent in Deutschland laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa mittlerweile vegetarisch, drei Prozent vegan. 41 Prozent der Befragten bezeichnen sich als Flexitarier, essen also nur gelegentlich Fleisch und halten ihren Fleischkonsum bewusst klein und nachhaltig.

Viele Tipps haben mit gesunder Ernährung nichts zu tun

Die Krux: Während die Konsumentinnen und Konsumenten immer mehr wissen und Ratschläge erhalten, wie man gesünder, schlanker, älter und fitter wird, steigen in Industrieländern die Zahlen von Übergewicht, Diabeteserkrankungen und Lebensmittelunverträglichkeiten. „Das tiefe Wissen um komplexe Zusammenhänge fehlt. Es ist ein Märchen, dass in der Agrarpolitik nur fachlich versierte Experten sitzen, die das Beste für die Gesellschaft wollen. Gerade im Agrarsektor regiert eine mächtige agro-industrielle Lobby“, sagt Wiener. „Selbst viele Tipps in den Medien haben mit gesunder Ernährung nichts zu tun. Wir werden immer dicker, kränker und hilfloser.“

Zur Person

Sarah Wiener

Die Köchin, Unternehmerin und Landwirtin wird 1962 geboren und wächst in Wien auf. Als sie Anfang der 80er Jahre nach Berlin geht, macht sie das Kochen zu ihrem Beruf und steigt ins Filmcatering ein. 1999 eröffnet sie ihr erstes Restaurant. Bekannt wird Wiener durch verschiedene TV-Formate. 2007 gründet sie die Sarah-Wiener-Stiftung. Die Initiative „Ich kann Kochen!“ setzt praktische Ernährungsbildung vor Ort in Kitas und Grundschulen um.

Paul Ivić

Paul Ivić (Jahrgang 1978) ist mit dem Tian in Wien der einzige Koch Österreichs, der sich mit rein vegetarischer Küche einen Stern erkocht hat. Es gibt weltweit nicht viele vegetarische Sternerestaurants. Paul Ivić hat mehrere Kochbücher geschrieben, darunter auch „Restlos glücklich“ (Brandstätter Verlag).

Infos

Der Termin
Treffpunkt Foyer zum Thema „Ernährung der Zukunft“ ist eine Veranstaltung der Stuttgarter Nachrichten. Die Podiumsdiskussion findet statt am Donnerstag, 18. Januar, um 18.30 Uhr in der Sparkassen-Akademie Baden-Württemberg, Pariser Platz 3 A, 70173 Stuttgart.

Die Veranstaltung – so melden Sie sich an

Sie können sich über diesen Link www.zeitung-erleben.de/treffpunktfoyer für die Veranstaltung anmelden. Halten Sie dafür Ihre Kundennummer bereit. Auf Zeitung erleben können Sie exklusive Veranstaltungen, Veranstaltungen zum Vorteilspreis und vieles mehr buchen.