In Deutschland unterschätzen drei Viertel der Erwachsenen, welche Summen sie im Pflegefall selbst aufbringen müssen. Foto: KNA/Julia Steinbrecht

Die Kosten für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen steigen. Nun macht ein Sozialbündnis Druck für eine grundlegende Reform – hinter der laut einer Studie auch die Mehrheit der Bevölkerung steht.

Ein Bündnis aus Sozialverbänden und Gewerkschaften macht angesichts immer höherer Zuzahlungen Pflegebedürftiger Druck für eine Vollversicherung, die alle Pflegekosten übernimmt. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sagte am Donnerstag in Berlin, die Eigenanteile hätten inzwischen eine Größenordnung erreicht, die Pflege zum Armutsrisiko werden ließen. Es sei höchste Zeit, dass die Bundesregierung den Menschen mit einer Pflegevollversicherung endlich Sicherheit gebe.

Das Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Verdi, Sylvia Bühler, forderte, Pflegebedürftige und Beschäftigte dürften nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Die Logik müsse durchbrochen werden, wonach jede Verbesserung bei Arbeitsbedingungen und Löhnen zu höheren Kosten bei den Pflegebedürftigen führe. Manfred Stegger, Vorsitzender des Biva-Pflegeschutzbundes, der Interessen Pflegebedürftiger vertritt, mahnte: „Sozialhilfe ist kein würdiger Ersatz für Ansprüche aus eigenen Beitragszahlungen.“ Laut einer Umfrage, die das Bündnis in Auftrag gab, unterschätzen viele, wie hohe finanzielle Belastungen bei der Pflege einmal auf sie zukommen.

Zuzahlungen für Pflege steigen

Hintergrund der Forderungen ist, dass die Pflegeversicherung – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Die Zuzahlungen aus eigener Tasche dafür steigen seit Jahren. Für Heimbewohner kommen steigende Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen noch hinzu. Zuletzt waren im ersten Heim-Jahr im bundesweiten Schnitt insgesamt 2548 Euro pro Monat fällig – 348 Euro mehr als Mitte 2022, wie eine Auswertung des Verbands der Ersatzkassen zum 1. Juli ergab.

Belastungen nehmen damit trotz 2022 eingeführter Entlastungszuschläge weiter zu. Hintergrund sind auch höhere Personalausgaben. Denn seit September 2022 müssen alle Einrichtungen Pflegekräfte nach Tarif oder ähnlich bezahlen, um mit den Pflegekassen abrechnen zu können. Die Entlastungszuschläge sollen nach einer kürzlich beschlossenen Pflegereform der Ampel-Koalition 2024 steigen. Den Eigenanteil für die reine Pflege soll das im ersten Heim-Jahr um 15 statt bisher 5 Prozent drücken, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent, ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent.

Viele unterschätzen Eigenbeitrag

Für den Ausbau der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung spricht sich einer Studie zufolge auch eine große parteiübergreifende Mehrheit (81 Prozent) der Bürger aus. Die forsa-Umfrage im Auftrag des Bündnisses für eine Pflegevollversicherung wurde am Donnerstag in Berlin vorgestellt.

Demnach unterschätzen drei Viertel der Erwachsenen in Deutschland, welche Summen sie im Pflegefall selbst aufbringen müssen. In einem Pflegeheim sind das den Angaben zufolge im ersten Jahr 2.700 Euro pro Monat, davon entfallen auf die reine Pflege 1.250 Euro, der Rest auf die Zuzahlung zu den Unterbringungs- und Verpflegungskosten.

Private Krankenversicherungen: Vollversicherung sind Zusatzlasten

Für die repräsentative forsa-Erhebung von Anfang August wurden 1.010 Personen über 18 Jahre online zur Pflege und anderen Themen befragt. Für eine Pflegevollversicherung müssten die Beiträge deutlich steigen oder die zusätzlichen Ausgaben mit staatlichen Milliarden-Zuschüssen finanziert werden. Dem Bündnis für eine Pflegevollversicherung gehören unter anderem der Paritätische Gesamtverband, weitere Sozialverbände, der DGB, ver.di und Pflegeverbände an.

Der Verband der Privaten Krankenversicherung monierte, eine Vollversicherung bedeutete Zusatzlasten für die Beitragszahler, aber keine gezielte Hilfe für ärmere Pflegebedürftige. Damit erhielte „die vermögendste Rentnergeneration aller Zeiten“ zusätzliche Leistungen aus der Gießkanne, obwohl die meisten in Eigenverantwortung für ihre Pflegekosten selbst vorsorgen könnten.