Caren Miosga bei der Premiere ihre Talkshow mit ihrem Gast, dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz Foto: dpa/Monika Skolimowska

Die neue ARD-Talkrunde am Sonntagabend überzeugt durch Dichte, Gäste und den Charme der Moderatorin.

Ja, das Konzept von Caren Miosga für eine politische Talkrunde am Sonntagabend geht auf: Längere Gespräche, aber keine Selbstdarstellerei, kurze Erklärvideos, aber wirklich nur wenn das notwendig ist, und das alles gepackt in eine vertrauliche Runde „live“ am Küchentisch im Studio Berlin-Adlershof. Ihre Vorgängerin Anne Will hatte Angela Merkel dreimal zu Gast, aber seit Jahren nicht den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Mit diesem ersten Prominenten startete Miosga durch und nach einem unterhaltsamen Warm-Up mit diversen Merz-Themen – dazu später mehr – enthüllte der Parteivorsitzende der CDU seinen Fahrplan, wie er sich den Weg zur Kür des Unions-Kanzlerkandidaten vorstellt. Dass er es selbst werden wolle, dieses Eingeständnis konnte Miosga ihm nicht abringen, auch wenn sie es mehrfach probierte und einmal so gar eine kleine Ina Müller ähnliche Lachattacke auf eine abwehrende Antwort von Merz abfeuerte: „Sie werden es doch eh!“, meinte Miosga. Er sei früher zweimal gedemütigt worden bei gescheiterten Kandidaturen für den Parteivorsitz, jetzt habe er den und stehe kurz vor der Macht: „Und da sagen Sie dann, och nö?“

Söder und Merz entscheiden allein

Merz aber wiederholte sein Procedere: Der Kanzlerkandidat werde erst im Spätsommer gefunden, ein Jahr vor einer Bundestagswahl sei der richtige Zeitpunkt, das zu tun, und man wolle jetzt nicht verfrüht mit Personaldebatten die Europawahl und drei wichtige Landtagswahlen in diesem Jahr überlagern. Auf Nachfrage von Miosga enthüllte Merz dann aber den „Modus“, wie die Auswahl desjenigen, der laut Merz „das beste Angebot hat“, eigentlich ablaufen soll, und das war neu: „Markus Söder und ich haben eine klare Verabredung. Wir beide werden einen Vorschlag machen.“ Den werde man dann mit den Landesparteivorsitzenden und den Parteipräsidien besprechen. Diese Aussage von Merz könnte in Teilen der Union zumindest Stirnrunzeln hervorrufen, hatte doch der CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, erst kürzlich öffentlich betont, dass die Unions-Kanzlerkandidatur sicher nicht von Merz und Söder allein entschieden werde. Dass sich Merz im Prinzip für geeignet hält als Kanzler, davon gab er bei Caren Miosga indirekt Zeugnis mit Aussagen über seine Führungsfähigkeiten als Unions-Fraktionschef: Da müsse er 197 Abgeordnete zusammenhalten und dass gehe nicht „mit Autorität von oben“, sondern nur mit Teamgeist.

Miosga schneidet Merz das Wort ab

Carmen Miosga moderiert bei ihrer Premiere mit Charme und Hartnäckigkeit, lehnt sich gestikulierend über den Tisch, setzt nach und schneidet Merz das Wort ab, wenn der beispielsweise erneut die „wichtigen Wahlen“ aufzählen will: „Das haben wir schon festgestellt.“ Zur Auflockerung stellt die Moderatorin dann mitten in der Sendung eine schwarze original Kaiser-Idell-Bürolampe aus den 50er Jahren auf den Tisch – der tiefere Sinn war nicht erkennbar – jedenfalls erhöht die Leuchte den Gemütlichkeitsfaktor, passte auch irgendwie gut zu Merz und der erinnerte sich, sein Vater, Richter in Brilon, habe auch so eine gehabt. Wird Deutschland konservativ, so lautete eigentlich die Leitfrage von Miosgas erster Talkrunde, abgewandelt worden ist sie dann, ob das Land vielleicht doch „braun“ regiert werden könnte. Das Verhältnis zur AfD war das große Thema, die Massendemonstrationen vom Wochenende gegen Rechts bewertete Friedrich Merz als „toll“, das sei ein ermutigendes Zeichen und ein Einsatz für die Demokratie. Aber es würde ihn auch freuen, wenn nur jeder zehnte der Demonstranten sein Engagement für die Demokratie auch bei der Mitarbeit in einer der etablierten Parteien zeigen würde.

„Die Nazikeule bringt nichts“


Dem vom CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, geprägten Wort von der AfD als „Nazipartei“ wollte Merz nicht folgen. Mal abgesehen von „Höcke und Co“, das seien „wirkliche Nazis“, so Merz, seien ja nicht alle AfD-Mitglieder Nationalsozialisten. „Die Nazikeule bringt uns nicht weiter“, meinte Merz. Wenn man AfD-Wähler zurückgewinnen wolle, dürfe man die nicht beschimpfen. Aber wie steht es nun um die Brandmauer der CDU zur AfD, wollte Miosga wissen. Eingespielt wurde ein Kurzvideo, wie sich ein CDU-Landratskandidat im Wahlkreis Saale-Orla gegen den starken AfD-Konkurrenten abgrenzt, und ein zweites, wie laut Umfragen wahrscheinlich die Wahl des Rechtsextremen Björn Höcke zum AfD-Ministerpräsidenten von Thüringen werden könnte, wenn die CDU im Landtag von Erfurt im dritten Wahlgang nicht den Konsens mit der Linkspartei sucht und sich auf einen Kandidaten einigt. Auf Miosgas konkrete Fragen nach einer Zusammenarbeit mit der AfD, aber auch der Linken und dem Bündnis von Sahra Wagenknecht antwortete Friedrich Merz ausweichend. Was die Kommunalparlamente anbelange, wo es um Zebrastreifen, Ampeln und Krankenhäuser gehe, da müsse man doch eine Weg finden, so Merz. Es könne doch nicht sein, dass die CDU da einen Antrag wieder zurück ziehe, nur weil die AfD dem auch zustimmen werde: „Da würden wir uns ja von der AfD abhängig machen.“ Was die Linken anbelange, da müssten die Landesparteien eigenständig entscheiden, im übrigen aber habe die Union da Beschlüsse gefasst.

Deutschland und sein „Durchsetzungsproblem“

Interessant auch die Einschätzungen der beiden Experten in der Runde zum Erstarken der AfD: Anne Hähnig vom Leipziger Büro der „Zeit“ sagte, sie glaube nicht, dass das Kopieren von AfD-Inhalten die etablierten Parteien weiter bringe. Dadurch werde die AfD nicht geschwächt, sondern stärker. AfD-Wähler trauten den anderen Parteien nicht zu, dass sie versprochene politische Inhalte auch umsetzten: „Sie halten den Nationalstaat für zu schwach. Sie stellen internationale Bündnisse in Frage, sie würden sich gerne abschotten gegen alles: Migration, Kriege anderswo, Zumutungen von außerhalb.“ Im übrigen habe Deutschland ein „Durchsetzungsproblem“, sichtbar beispielsweise an der zögerlichen Ausstattung der Bundeswehr, was Friedrich Merz mit den Worten „da ist was dran“ kommentierte. Im übrigen, so Hähnig, hätten nur ein Viertel der AfD-Wähler rechtsextreme Einstellungen. Eine andere Sichtweise hatte der Münchner Soziologieprofessor Armin Nassehi, der den Aufwind der AfD mit einer „Entscheidungsinkompetenzunterstellung“ erklärte. Erschwerend komme hinzu, dass sich die AfD in östlichen Landstrichen als „Kümmerer“ und Ansprechpartner für die Bürger aufführe, dort, wo die Strukturen der anderen Parteien zerbrochen seien. Nassehi sieht die demokratischen Parteien in einem Dilemma: Schließen sich beispielsweise CDU und Linke zusammen gegen die AfD, wirke das wie eine Spirale abwärts im Meinungsspektrum und stärke das Gefühl der AfD-Anhänger, man habe es mit einen fest gefügten politischen Establishment zu tun.

Applaus für die Pascha-Bemerkung

Nachzutragen wären noch einige typische Merz-Themen, etwa sein laut Miosga seit der Entmachtung als CDU-Fraktionschef 2002 zerrüttetes Verhältnis zur Ex-Kanzlerin Angela Merkel, das nach Versöhnung rufe: Sein Verhältnis zu Merkel sei „gut“, widersprach Merz. „Wir telefonieren miteinander.“ Die CDU sei bereit, ihren 70sten Geburtstag am 17. Juli mit einem Festakt im Konrad-Adenauer-Hause gebührend zu feiern: „Wenn sie es möchte.“ Er verstehe gut, dass sich Merkel aus dem politischen Tagesgeschäft zurück gezogen habe, aber auch ein Mitmachen in den nächsten Wahlkämpfen sei für sie selbstverständlich möglich: „Wenn sie sich beteiligen möchte: Die Türen stehen offen.“ Interessant in der Talkrunde waren die Reaktionen der 90 Zuschauer im Studio: Da zitierte Caren Miosga nochmals drei umstrittene Äußerungen von Friedrich Merz – über die „kleinen Paschas“ in muslimischen Familien, Kreuzberg sei nicht Deutschland und Flüchtlinge schnappten den Einheimischen die Zahnarzttermine weg. Heftiger Applaus im Publikum setzte da bei der Pascha-Bemerkung ein, aber noch lauter fiel der Beifall wenig später aus, als die „Zeit“-Journalistin Hähnig die Kritik an den „Paschas“ als „grenzwertig“ einstufte. Es gehe nicht an, andere zu verletzen und ganze Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren. Das Publikum bei Miosga, so der Eindruck, ist so gespalten wie das Land. Sie selbst hat ihre erste Talkrunde bravourös gemeistert, ein Lapsus ganz am Schluss - „Ich möchte mich begrüßen bei meinen Gästen“ – statt bedanken- konnte das nicht mindern.