Ein Affe laust dem anderen seinen Schwanz auf der Treppe auf den Berg beim Tiger Cave Temple (Wat Tham Sua) in der thailändischen Provinz Krabi. Foto: Imago/Stefan M. Prager

Affen haben einen, Menschenaffen und Menschen nicht: Gemeint ist der Schwanz, das hintere, muskulöse Ende der Wirbelsäule. Warum und seit wann das so ist, haben Forscher jetzt herausgefunden. Über eine faszinierende Spurensuche in der Evolutionsgeschichte.

Im Jahr 1859 veröffentlichte Charles Darwin – nach zwei Jahrzehnten intensiven Forschens – ein Buch, das zu einem der wichtigsten naturwissenschaftlichen Schriften und einem der großartigsten Bücher in der gesamten Menschheitsgeschichte zählt: „The Origin of Species“ – „Die Entstehung der Arten“.

Darwins atemberaubende These

In seinem Meisterwerk stellt Darwin die atemberaubende These auf, dass alle Lebewesen auf gemeinsame Vorfahren zurückgehen. Diese veränderten sich im Laufe von Hunderten von Millionen Jahren mehr und mehr, bis sich die verschiedenen Lebensformen herausbildeten. Darwin behauptete auch, dass Menschen und Affen einen gemeinsamen Ahnen gehabt haben, von dem aus sie sich in zwei verschiedene evolutionäre Richtungen entwickelt hätten.

Warum haben Hominiden und Homo sapiens keinen Schwanz?

Die meisten Affen haben einen Schwanz – bis auf Menschenaffen und die mit ihnen verwandten Menschen. Doch warum haben Hominiden und Homo sapiens im Gegensatz zu ihren evolutionären Vorfahren, den Ur-Hominoiden, keinen Affenschwanz mehr?

Menschenaffen wie Schimpansen haben keinen Schwanz mehr. Foto: Imago//Pond5 Images
Auch beim Homo sapiens fehlt bekanntlich der Schwanz. Foto: Imago/Westend61

Was ist ein Schwanz und wozu dient er?

Ein Gelbbrust-Kapuziner-Äffchen balanciert auf einem Seil in einem Zoo. Foto: Imago/Imagebroker

Der Schwanz ist das mit Muskeln, Sehnen, Haut und eventuell Fell bekleidete, hintere Ende der Wirbelsäule am Ansatz des Afters. Katzen- und hundeartige Tiere, aber auch Affen verwenden den Schwanz sowohl zum Balancieren als auch für die Kommunikation.

Von der einstmals langen Kletter- und Balancierhilfe sind bei Primaten nur die wenigen Knochen des Steißbeins und einige Muskeln im Beckenbereich geblieben. Doch warum haben unsere Primaten-Vorfahren vor rund 25 Millionen Jahren ihren Schwanz verloren? Welche genetisch-biologischen Veränderungen waren dafür verantwortlich?

Die Evolutionsbiologin Bo Xia von der NYU Langone Health in New York und ihre Kollegen sind diesen Fragen nun nachgegangen. Ihre Studie veröffentlichten sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Nature“.

DNA-Fragment für Mutation verantwortlich

Die Forscher suchten nach Mutationen in menschlichen Genen, die bei anderen Primaten mit der Entwicklung des Schwanzes verknüpft sind. Dabei stellte sich heraus, dass ein kleiner DNA-Einschub, der bei schwanztragenden Affen nicht vorhanden ist und vor 25 Millionen Jahre in das Erbgut unserer Vorfahren geriet, dieses Fehlen verursachte.

Titelblatt der aktuellen „Nature“-Ausgabe. Foto: © Nature

Dieses sogenannte AluY-Element störte das Ablesen eines für die Schwanzentwicklung wichtigen Gens. Der betreffende DNA-Teil habe mehrere bemerkenswerte Eigenschaften, wie die Forscher schreiben. „Es ist spezifisch für die Stammeslinie der Hominoiden und es liegt in einem Gen, das für seine Verbindung zur Schwanzbildung bekannt ist.“

Das AluY-Element hat demnach wichtige Steuerfunktionen für das Ablesen der Gene, in denen sich einige entscheidende Unterschiede zwischen Mensch und Affe verbergen.

Mäuse-Experimente bestätigen Hypothese

In Experimenten mit Mäusen bestätigte sich die Richtigkeit des genetischen Effekts des AluY-Elements. Die Forscher fügten diesen DNA-Abschnitt in das Erbgut von Nagern ein. In der Folge entwickelten auch die Mäuse verkürzte oder fehlende Schwänze.

„Dies belegt, dass der Einschub eines einzelnen Alu-Elements in das Genom des Hominoiden-Vorfahren zur Schwanzlosigkeit beigetragen haben kann“, schreibt Bo Xia. „Weitere genetische Faktoren könnten dann diese Schwanzlosigkeit stabilisiert haben.“

Aufrecht gehen statt auf Bäumen klettern

Dieser genetische Mechanismus erklärt aber nur zum Teil die Mutation in der Stammeslinie der Primaten. Ein weiterer entscheidender Grund war der Wandel des Lebensraums und die veränderte Lebensweise unserer frühen Vorfahren.

Als Afrikas Wälder zur Savanne wurden, kletterten die Ur-Hominoiden seltener auf Bäume und begannen in einem langen Prozess, aufrecht zu laufen. Die Wissenschaftler vermuten, dass die für den Schwanz nötigen Muskeln ihnen dabei geholfen haben, ihr Becken aufzurichten und stabiler aufrecht zu stehen.