Es ist ein Schock für die 16 Mieterinnen und Mieter, die zum Teil seit etlichen Jahren in drei klinikeigenen Gebäuden am Markgröninger Wasserturm wohnen. Die Kliniken haben ihre Wohnungen gekündigt. Der Grund: Eigenbedarf für künftige Pflegekräfte.
Nilay K. versteht die Welt nicht mehr. Seit fast fünf Jahren wohnt sie in einem Ein-Zimmer-Apartment in einem Gebäude, das der Regionalen Kliniken Holding gehört. Nun wurde ihr – ebenso wie 15 weiteren Mieterinnen und Mietern, die wie sie ebenfalls nicht für die Kliniken arbeiten – per Boten die Kündigung ihrer Wohnung zugestellt. Die Begründung: Eigenbedarf.
„Ihre Wohnung wird benötigt zur Neuvermietung an unseren neuen Mitarbeiter Herrn E. Herr E. wird zum 1. April 2023 in unserem Hause eine Tätigkeit als Auszubildender Pflegefachmann aufnehmen. Er befindet sich derzeit noch in seinem Heimatland Iran, und die Aufnahme der Tätigkeit hängt unabdingbar davon ab, dass wir ihm eine entsprechende Wohnung zur Verfügung stellen“, heißt es in der Kündigung. Weiter führt der Geschäftsführer der RKH Orthopädischen Klinik Markgröningen, Olaf Sporys, in dem Kündigungsschreiben aus: „Abgesehen davon, dass Herr E. auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt wegen seines Aufenthalts im Ausland keine eigene Wohnung finden wird, soll ihm im Rahmen des Arbeitsverhältnisses eine betriebseigene und betriebsnahe Wohnung zur Verfügung gestellt werden.“
Die Suche nach Ersatzwohnungen dürfte schwierig werden
Nilay K. geht davon aus, dass allerdings auch sie große Probleme haben wird, eine andere Wohnung zu finden. „Ich stehe an einem Punkt, wo ich nicht weiter weiß, wie ich die Kaution für eine neue Wohnung auftreiben soll, den Umzug bezahlen soll, und bei den aktuellen Mietpreisen nun mindestens die doppelte Miete bezahlen soll. Das Ganze, damit einer, der im Gegensatz zu mir noch keinen Cent Steuern in diesem Land gezahlt hat, eine Ausbildung hier machen kann.“ Auch den anderen Mieterinnen und Mietern gehe es ähnlich, sagt K. „Das sind alles Leute mit wenig Geld, zum Teil haben sie auch noch Haustiere, was die Wohnungssuche nicht leichter macht.“ Und was sie außerdem empört: „In meinem Mietvertrag steht kein Wort davon, dass er aus so einem Grund gekündigt werden kann.“
Olaf Sporys räumt ein, das sei von der Verwaltung „an die Mieter nicht so vermittelt worden“. Die Wohnungen seien schon relativ alt und deshalb für eigene Mitarbeiter nicht so attraktiv gewesen, deshalb habe man sie auf dem freien Markt angeboten. „Für die Mieter ist das keine leichte Situation, das ist uns auch klar“, sagt Sporys. „Aber wir können nicht so schnell was aus dem Hut zaubern; die Not im Personalbereich ist groß.“
Sind die Kündigungen überhaupt rechtens?
Dass die jetzt ausgesprochenen Wohnungskündigungen überhaupt rechtens sind, bezweifelt der unter anderem für den Mieterbund Ludwigsburg tätige Rechtsanwalt Thorsten Majer. Zwar müsse man immer den Einzelfall prüfen und könne keine pauschale Stellungnahme abgeben. Aber aus seiner Sicht gebe es mehrere Ansatzpunkte, anhand derer man gegen die Kündigungen vorgehen könne. Doch selbst wenn sie rechtmäßig sein sollten, würde es sich um einen Härtefall handeln.
Denn in der Region gebe es nicht genügend Wohnraum für schmale Geldbeutel. Das reiche als Begründung für einen Widerspruch schon aus. Im Übrigen, sagt Majer, der früher selbst im Aufsichtsrat der Kliniken saß, sei die Problematik „ja nicht von heute auf morgen gekommen“, so dass man etwas hätte unternehmen können.
Tatsächlich hatte die Holding vor gut zwei Jahren geplant, in Markgröningen rund 100 neue Mitarbeiterwohnungen nahe der Klinik zu errichten. Daraus wurde jedoch nichts. Zum einen wegen Sparmaßnahmen, zum anderen sei es daran gescheitert, „dass die Grundstücke dazwischen landwirtschaftliche Grundstücke sind, die erst qualifiziert werden müssten“, so Sporys. Das Projekt hätte sich auch finanziell nur dann umsetzen lassen, wenn man einen Teil der Wohnungen als Eigentum hätte verkaufen können, doch auch das sei leider nicht möglich gewesen.
Planungen sind Rechnung mit sehr vielen Unbekannten
Die betroffenen Mieter kann Majer ein Stück weit beruhigen: „Mit einer Kündigung landet man nicht automatisch auf der Straße. Erst einmal gibt es eine Räumungsklage; der Vermieter braucht einen vollstreckbaren Titel.“ Und wo kommen dann die künftigen Mitarbeiter, die dort wohnen sollen, in der Zwischenzeit unter? „Wir wissen derzeit noch gar nicht, ob die Angeworbenen zu dem geplanten Zeitpunkt kommen. Dazu brauchen wir eine Zustimmung der deutschen Behörden und der des Herkunftslandes. Dann können auch erst die Arbeitsverträge unterschrieben werden“, sagt Sporys. Was passiert, wenn die Einreise scheitert oder der Arbeitsvertrag nach der Einreise vielleicht gar nicht unterschrieben wird, bleibt offen.
Wohnraum als Plus im Wettbewerb um Fachkräfte
Klinikeigene Wohnungen
Die Kliniken Holding wirbt auf ihrer Homepage mit der Aussage „Wir sichern Ihnen ein Dach über dem Kopf.“ Man verfüge über mehr als 1000 eigene Unterkünfte an den verschiedenen Standorten – überwiegend Einzelzimmer und kleine Apartments in unmittelbarer Nähe der jeweiligen Klinik, die zu günstigen Tarifen an die Mitarbeiter vermietet würden.
Suche nach Wohnungen
Zugleich werden potenzielle Vermieter gesucht. „Da auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland keine Pflegefachkräfte vorhanden sind, hat die Rekrutierung von Pflegefachkräften im Ausland eine wichtige Bedeutung. Viele motivierte und gut qualifizierte Pflegekräfte haben großes Interesse, eine Beschäftigung in Deutschland aufzunehmen. Für die Zeit des hierfür notwendigen Anerkennungsverfahrens benötigen diese Pflegekräfte Wohnraum, den die RKH Kliniken aktuell noch nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stellen können.“