Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell (links) verspricht dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba die Hilfe der Union. Foto: dpa/Efrem Lukatsky

Die Vertreter aller 27 Staaten sagen der Ukraine weitere Hilfe zu. Außenministerin Baerbock sieht einen Vorgeschmack auf ein neues Europa.

Das Wort historisch ist in Kiew in aller Munde. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU haben sich die Vertreter aller 27 Mitgliedsländer gemeinsam außerhalb der Union getroffen. Bei ihrer symbolträchtigen Sondersitzung in der Hauptstadt der Ukraine haben die Außenminister dem von Russland angegriffenen Land ihre langfristige finanzielle und militärische Unterstützung zugesagt. Alle Teilnehmer kamen am Montag mit dem Nachtzug nach Kiew. Wie üblich während des russischen Angriffskriegs wurde die Reise aus Sicherheitsgründen nicht vorher angekündigt.

Spott aus Moskau für die EU

In Moskau ist dieses Zeichen der europäischen Solidarität sehr gut verstanden worden. Die Reaktion kam prompt. Der Kreml gehe davon aus, dass die Hilfe des Wesens bald erlahmen werde, spottete Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag nach Angaben der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass in Richtung Kiew. „Wir haben immer wieder schon früher gesagt, dass nach unseren Prognosen eine Müdigkeit bei diesem Konflikt eintreten wird,“ erklärte Peskow. Damit meinte er vor allem auch die USA. Dort ist die Finanzierung der US-Hilfen wegen eines Haushaltsstreits in Washington in der Schwebe. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte auch deshalb bereits kurz vor dem Treffen vorgeschlagen, der Ukraine längerfristig Geld zur Rüstung zuzusagen und mit EU-Geld auch die Lieferung moderner Kampfjets und Raketen zu finanzieren. So will er von 2024 bis Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro mobilisieren.

Ein „Winterschutzschirm“ für die Ukraine

Sorge bereitet der Ukraine, dass Russland in den kommenden Wochen den Beschuss des Landes mit Raketen wieder verstärken könnte, um die Kraftwerke zu zerstören. Aus diesem Grund bekräftigte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ihre Forderung nach einem „Winterschutzschirm“ für die Ukraine. Dazu gehöre der Ausbau der Luftverteidigung, die Lieferung von Strom-Generatoren und die Stärkung der Energieversorgung, sagte die Grünen-Politikerin in Kiew. Schon im vergangenen Winter hatte Russland mit systematischen Angriffen auf die Energieversorgung versucht, den Verteidigungswillen der Ukraine zu brechen. Wladimir Putin setze darauf, dass bei 20 Grad Frost auch die Wasserversorgung einbreche. „Das müssen wir gemeinsam mit allem, was wir haben, so weit es geht verhindern,“ sagte die deutsche Außenministerin. Deutschland hat die Ukraine bereits umfangreich mit Luftverteidigungssystemen wie Iris-T und Patriot unterstützt.

Das Treffen in Kiew zeigte allerdings auch, dass die Spannungen innerhalb der EU wegen der Unterstützung der Ukraine deutlich zunehmen. So war Ungarn, dessen Regierung immer wieder pro-russische Signale Richtung Kreml sendet, nicht mit dem Außenminister in Kiew vertreten. Auch der polnische Außenminister schickte nur seinen Stellvertreter. Seit Monaten gibt es Spannungen zwischen der Ukraine und Polen, wegen der Einfuhr ukrainischen Getreides in diese Länder.

Kiew ist stolz auf das „historische Ereignis“

Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba betonte die historische Dimension des Treffens. Die Botschaft sei, dass sich die Europäische Union in die Ukraine ausweite; dafür sei man sehr dankbar. Das „historische Ereignis“ finde zwar außerhalb der derzeitigen EU-Grenzen statt, „aber innerhalb der zukünftigen EU-Grenzen“. Damit unterstrich Kuleba, dass Kiew seinen Weg zur Aufnahme in die Union fortsetzen werde.

Die Ukraine ist seit Juni 2022 offiziell Beitrittskandidat. Über die Aufnahme von Verhandlungen müssen die EU-Staaten aber noch einstimmig entscheiden. Ein positives Votum soll es dann geben, wenn die Ukraine bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Dazu zählen Erfolge im Kampf gegen die Korruption.

Baerbock bekräftigt das Versprechen der EU

Baerbock bekräftigte in Kiew das Versprechen der EU, die Ukraine zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt in die Staatengemeinschaft mit ihren derzeit 27 Mitgliedern aufzunehmen. „Die Zukunft der Ukraine liegt in der Europäischen Union, in dieser Gemeinschaft der Freiheit. Und die wird sich bald erstrecken von Lissabon bis Luhansk.“ Das war ein Seitenhieb der deutschen Diplomatin in Richtung Wladimir Putin. Denn der russische Präsident warb vor knapp über einem Jahrzehnt für eine „harmonische Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok“. Angesichts des rücksichtslosen imperialen Strebens Moskaus und nach dem Überfall auf die Ukraine ist diese Idee allerdings begraben.