Rainer Reichhold rügt die Regierenden in Bund und Land: Sie hörten nicht gut zu. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das baden-württembergische Handwerk verzeichnet deutlich mehr Ausbildungsverträge als im Vorjahr. Verbandspräsident Rainer Reichhold fordert von der Landesregierung zudem eine auf 3000 Euro erhöhte Meisterprämie.

Das baden-württembergische Handwerk sendet überraschend positive Signale vom Ausbildungsmarkt. Es spreche sich herum, dass eine berufliche Zukunft in dem Bereich „eine gar nicht so schlechte Idee“ sei, wie Handwerk-BW-Präsident Rainer Reichhold sagt. „Die Ausbildungszahlen ziehen wieder an, es sieht in diesem Jahr nach einem guten Plus an neuen Ausbildungsverträgen aus.“ Es sei ja häufig so, „dass die Lage besser ist als die Stimmung“, sagte er auf der Mitgliederversammlung in Stuttgart.

Konkret wurden bis zum 30. Juni 8,3 Prozent mehr Verträge abgeschlossen als zum Vorjahresmonat. Ob sich die sehr positive Tendenz bestätige, werde sich erst zum Start des Ausbildungsjahres am 1. September zeigen, heißt es. Offen seien im Land rund 3500 in den Lehrstellenbörsen der Handwerkskammern eingetragene Stellen, was aber eine „gewisse Dunkelziffer“ vermuten lasse.

Bundesweit eine Viertel Million Handwerker zu wenig

Bundesweit waren laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fast 36 000 Lehrstellen offen. Seit Januar seien 63 600 Ausbildungsverträge in die Lehrlingsrollen der Handwerkskammern eingetragen worden – fast vier Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der offenen Lehrstellen stieg um 6,8 Prozent. Insgesamt fehlen aktuell eine Viertelmillion Handwerker.

Dennoch fordert Reichhold „dringend eine gesellschaftliche Debatte, die der beruflichen Bildung mehr Wertschätzung entgegenbringt“. Dazu gehöre eine starke Unterstützung der Fort- und Weiterbildung. Die Förderung der Meisterausbildung durch die 2019 eingeführte Meisterprämie sei ein erster Schritt in Richtung Gleichbehandlung beruflicher und akademischer Bildung gewesen. Trotzdem decke sie bei weitem nicht die Kosten ab. „Wir fordern die Landesregierung auf, die Meisterprämie für einen erfolgreichen Meisterabschluss auf 3000 Euro zu erhöhen.“ Gerade in schwierigen Zeiten müsse der Übergang zwischen Meisterausbildung und Betriebsgründung so attraktiv und flexibel wie möglich gestaltet werden. Deshalb sollte die Meistergründungsprämie künftig bis zu vier Jahre nach dem Abschluss ausgezahlt werden. Bayern etwa hat den Meisterbonus unlängst auf 3000 Euro erhöht.

Schlechte Noten für manche Schulleiter

Um die Fachkräfte von morgen auf die Anforderungen ihres Berufs vorzubereiten, mahnt der Verbandspräsident moderne Bildungszentren an. „Die Landesregierung muss hier endlich die Haushaltsmittel ausweiten – mehr, nicht weniger wie in diesem Jahr.“ Ferner brauche es mehr Berufsorientierung in Richtung Handwerk in allen Schulformen, auch an Gymnasien. „Es kann nicht sein, dass Schulleiter, die das nicht wollen, es einfach lassen dürfen“, rügte der Verbandschef. „Sie spielen mit der Zukunft unseres Landes.“

„Nicht ins Jammern verfallen“

Viel Kritik übt Reichhold an den Regierenden in Bund und Land, die nicht gut zuhörten, weil die Skepsis gegenüber der Wirtschaft möglicherweise so stark sei. „Wir Handwerksorganisationen bringen uns gerne fundiert in alle Debatten und Gesetzgebungsverfahren ein.“ Es sei auch nicht so, „dass wir überhaupt nicht durchdringen“, räumt er ein. Allerdings sei es mühsamer geworden.

An die eigenen Reihen gerichtet warnt der Verbandschef: „Wir dürfen nicht ins Jammern verfallen.“ Eher müsse man „trommeln und gute Stimmung ausstrahlen, um Nachwuchs zu gewinnen“. Die Botschaft laute, dass es Perspektiven im Handwerk gebe.