Die Grünen kommen in Karlsruhe zu ihrem bisher größten und längsten Parteitag zusammen. Es ist ein Treffen in schwieriger Zeit: die Zustimmung zum Kurs der Partei hat bei den Bürgern deutlich nachgelassen. Die Finanzkrise im Bund verschärft die Probleme.
Jetzt auch noch ein Parteitag. Während die Grünen in der Bundesregierung versuchen, mit ihren Koalitionspartnern den gekippten Haushalt zu retten, trifft sich die Partei in Karlsruhe zur Bundesdelegiertenkonferenz. Es wird der größte und längste Parteitag, den die Grünen je hatten. Er beginnt am Donnerstagnachmittag und dauert bis Sonntag. 825 Delegierte reisen an, hinzu kommen über 1700 Gäste. Insgesamt sind 4000 Leute für die vier Tage angemeldet.
Es sind schwierige Zeiten, in denen sich die Grünen dieses Mal zusammenfinden. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts in Karlsruhe zum Nachtragshaushalt schwankt plötzlich die gesamte Finanzierung der Regierungspläne – und damit auch die Ampelkoalition selbst. Die Umfragewerte der Grünen haben sich im vergangenen halben Jahr bei rund 15 Prozent eingependelt. Bei den Landtagswahlen in diesem Jahr lief es für sie nirgendwo so gut wie erhofft, in Hessen und Berlin dürfen sie nun nicht mehr mitregieren. Die Ampelregierung gilt als unbeliebt, jetzt ist ihr noch der Haushalt geplatzt.
Kontroverse Debatten
In dieser Stimmung kommen die Grünen nun in Karlsruhe zusammen. Dort halten sie zwei Treffen ab: den Parteitag und die Europawahlversammlung. Zum Auftakt sind mehrere Debatten geplant. Die dürften teilweise sehr kontrovers werden – besonders, wenn es um Migration geht.
Schon auf ihrem Kleinen Parteitag im Sommer hatten sich die Grünen über die geplante Reform des europäischen Asylsystems gestritten. Die Parteilinken lehnen das Vorhaben ab, die Realos halten es für eine unschöne, aber pragmatische Lösung. Damals fand die Partei wieder zusammen. Doch seitdem ist klar, wie zerrissen die Grünen in dieser Frage sind. Zumal sich die Basis vor dem Parteitag nun mit einem offenen Brief an die Parteispitze wandte und ihr vorwarf, die moralischen Grundsätze der Partei aufgegeben zu haben. In Karlsruhe wird sich zeigen, wo die Partei steht.
Auch das Urteil zum Nachtragshaushalt wird Thema sein. Außerdem wollen die Delegierten ihre Parteigremien wählen. Die aktuellen Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour treten erneut an, ihre Wiederwahl gilt als sicher. Bislang gibt es nur einen Gegenkandidaten: den weitgehend unbekannten und aussichtslosen Philipp Schmagold aus Schleswig-Holstein.
Spannend wird die Wahl trotzdem: An der Höhe der Zustimmung wird sich ablesen lassen, wie groß der Rückhalt der Vorsitzenden in der Partei ist. So beliebt wie ihre Vorgänger Robert Habeck und Annalena Baerbock waren Lang und Nouripour nie.
Außerdem wählen die Delegierten die Kandidatinnen und Kandidaten, die bei der Wahl im kommenden Juni für einen Platz im Europaparlament kandidieren. Zur Spitzenkandidatin soll Terry Reintke gewählt werden, die seit 2014 im Europaparlament sitzt. Auch ihr Wahlprogramm wollen die Grünen festlegen. Dabei stehen kontroverse Diskussionen an. Die Grünen wollen sich zum Beispiel auf eine Position zur CCS-Technik einigen, bei der das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid der Atmosphäre entzogen wird. Das Verfahren ist umstritten – einerseits gilt es als notwendig, um die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu erreichen. Andererseits ist unklar, wie sicher die Technik ist.
Aufstellung für Europawahl
Alle Bundesministerinnen und -minister der Grünen reisen zum Treffen nach Karlsruhe an und treten bei Debatten auf. Bei der politischen Grundsatzdiskussion wollen zum Beispiel Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke sprechen, Außenministerin Annalena Baerbock ist als Rednerin für die Debatten zu Israel und zum Europawahlprogramm gesetzt. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird eine Rede halten.
Außerdem haben die Grünen prominente Gäste eingeladen. Darunter sind die dänische Politikerin und EU-Kommissarin Margrethe Vestager, die belarussische Oppositionsführerin und Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja sowie der Vorstandsvorsitzende von Daimler Truck Martin Daum.
Das Programm ist eng getaktet. Am Donnerstag tagen die Grünen bis kurz vor Mitternacht, an den folgenden Tagen sind Debatten und Wahlen bis 1 Uhr morgens geplant. Erfahrungsgemäß wird es meist noch später. Die Partei hat viel zu besprechen.