EZB-Chefin Christine Lagarde will die Inflationsrate in Richtung 2,0 Prozent drücken. Foto: dpa/Boris Roessler

Es geht weiter rauf mit den Leitzinsen im Euroraum – die Europäische Zentralbank hebt die Zinssätze moderat, aber beharrlich an. Die Inflation ist ihr noch zu hoch. Das liegt auch an den Lohnabschlüssen, sagen Wirtschaftsforscher.

Wie in den vergangenen Tagen erwartet lässt die Europäische Zentralbank (EZB) in der Inflationsbekämpfung nicht nach und hebt die Leitzinsen moderat um weitere 0,25 Prozentpunkte an. Es war der achte Anstieg in Folge. Damit liegt der zentrale Satz, zu dem Geschäftsbanken sich Geld bei der EZB leihen können, nun bei 4,0 Prozent. Wenn Banken bei der EZB Geld parken, erhalten sie dafür nun 3,5 Prozent Zinsen.

Mit dieser Entscheidung könnte das Ende aber noch nicht erreicht sein – „sehr wahrscheinlich“ werde man auch im Juli zu diesem Mittel greifen, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde in Frankfurt. „Die zukünftigen Beschlüsse des EZB-Rats werden dafür sorgen, dass die Leitzinsen auf ein ausreichend restriktives Niveau gebracht werden, um eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen“, heißt es. „Dieses Niveau wird so lange aufrechterhalten wie erforderlich.“ Schon zu Beginn der weltweiten Finanzkrise im Oktober 2008 hatte der Leitzins 4,25 Prozent betragen; bald ist dieser Stand wieder erreicht.

Die Fed hat eine Atempause verordnet

Am Vorabend hatte die US-Notenbank Fed den Leitzins nach zehn Erhöhungen in Folge erstmals wieder unverändert gelassen – um gleichzeitig aber auch in Aussicht zu stellen, später im Jahr ihre Zinspolitik wieder anzuziehen. Vorerst bleibt es jedoch bei einer Spanne von 5,0 bis 5,25 Prozent.

Höhere Zinsen sollen die Nachfrage und damit steigende Preise bremsen, dürfen aber das Wirtschaftswachstum nicht gänzlich behindern. Die Kreditkosten seien stark gestiegen und das Wachstum der Kreditvergabe verlangsame sich, hat auch die EZB erkannt. In der Eurozone rechnet die Notenbank für dieses Jahr mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 5,4 Prozent, für 2024 dann mit 3,0 Prozent und 2025 mit 2,2 Prozent.

„Inflationsrisiko ist nicht vollends gebannt“

Deutschland steht eher schlecht da im Euroraum – hier lag die Teuerungsrate im Mai trotz eines deutlichen Abwärtstrends noch bei 6,1 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) prognostiziert für dieses Jahr eine durchschnittliche Preissteigerungsrate von 5,9 Prozent und für 2024 nur noch 2,5 Prozent. „Das Inflationsrisiko ist aber nicht vollends gebannt“, sagt die leitende Konjunkturforscherin Geraldine Dany-Knedlik. Angesichts der düsteren Prognosen im Herbst sei die deutsche Wirtschaft mit einem „blauen Auge davongekommen“. Doch eine weiterhin hohe Inflation und dadurch nochmals anziehende Zinsen „könnten die Erholung der Wirtschaft abwürgen“.

Zwar begrüßt sie, dass die höheren Lohnabschlüsse der vergangenen Monaten wie im öffentlichen Dienst oder bei der Deutschen Post dazu beigetragen hätten, dass sich die Unsicherheit der Verbraucher abschwächt. Ab der zweiten Jahreshälfte dürften die realen Einkommen erstmals seit drei Jahren wieder steigen und die Menschen in Deutschland auch abzüglich der Preissteigerungen mehr Geld im Portemonnaie haben.

Für das nächste Jahr werden sogar „solide Anstiege der Reallöhne“ vorhergesagt. Dies bedeute aber nicht, „dass wir dann die Reallohnverluste, die wir in den letzten paar Jahren gesehen haben, kompensieren können, sondern nur, dass wir zunächst einmal wieder auf den vorherigen Trend kommen“.

„Inflationsdruck aufgrund der Lohnabschlüsse“

Zugleich stellt Dany-Knedlik fest, dass die Kerninflation (ohne Energie und Nahrungsmittel) wegen der höheren Bruttolohnzuwächse langsamer zurückgeht als die Gesamtinflation, bei der sich die sinkenden Energiepreise sehr bemerkbar machen. „Es gibt durchaus einen Inflationsdruck aufgrund der Lohnabschlüsse“, sagt sie.

Die Gewerkschaften verteidigen ihre anhaltend hohen Lohnforderungen. Seit gut einem Jahr argumentieren sie, dass ihre relativ hohen Gehaltsabschlüsse nicht dazu beitragen würden, die sogenannte Lohn-Preis-Spirale zu befördern. Entsprechend wenden sie auch gegen weitere Leitzinserhöhungen durch die EZB. Diese würden der Konjunktur nicht gut tun, argumentiert etwa Verdi-Chef Frank Werneke. Negative Auswirkungen zeigten sich insbesondere schon im Baugewerbe.

Steigende Ungleichheit der Arbeitseinkommen

Gerade wegen der Inflation prognostiziert das DIW eine weiter steigende Ungleichheit der realen monatlichen Bruttoarbeitseinkommen in diesem Jahr. Dieser Trend war im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach der Coronapandemie schon 2022 eingeleitet worden, nachdem die Ungleichheit in den Jahren 2010 bis 2021 eher abgenommen hatte.

Der Hauptgrund der aktuellen Entwicklung: Höhere Preise kommen bei den privaten Haushalten unterschiedlich an – sie belasten gering verdienende Haushalte ohne Ersparnisse, die quasi von der Hand in den Mund leben, in besonderem Maße. Ihr Anteil am Verbrauch von Nahrungsmitteln und überlebenswichtigen Gütern ist größer als im Durchschnitt der Bevölkerung.