Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil leitet derzeit die Ministerpräsidentenkonferenz. (Archivbild) Foto: IMAGO/regios24/IMAGO/Sebastian Priebe

Die 16 Bundesländer fordern angesichts der gestiegenen Energiekosten einen zeitlich befristeten „Brückenstrompreis“. Das geht aus einer „Brüsseler Erklärung“ hervor, die die Länderchefs einstimmig angenommen haben. Was haben sie genau vereinbart?

Ein Industriestrompreis und Klimaschutz - aber nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit: Über diese Forderungen haben die Spitzen der 16 Bundesländer am Mittwochabend mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel beraten. Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) warnte als amtierender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz vor dem Abwandern ganzer Schlüsselindustrien wie Chemie oder Stahl.

Die 16 Länderchefinnen und -chefs tagen erstmals seit 2018 wieder in Brüssel. Weil bekräftigte zum Auftakt in der belgischen Hauptstadt, es müssten „in Europa für die energieintensive Industrie wettbewerbsfähige Bedingungen bestehen“.

Energie ist in Deutschland bisher zu teuer

Die infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gestiegenen Energiekosten stellten ein akutes Hemmnis für die Erholung der Konjunktur und die Rückkehr der Industrieproduktion auf Vorkrisenniveau dar, heißt es in dem der dpa vorliegenden Beschluss. „Es muss daher den Mitgliedstaaten für einen Übergangszeitraum möglich sein, einen wettbewerbsfähigen Brückenstrompreis vor allem für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen zu etablieren, bis bezahlbare erneuerbare Energien in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen.“

Mit der einstimmigen Forderung erhöhen die Länder in der Frage eines staatlich subventionierten Industriestrompreises den Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Dieser hatte bisher eine klare Positionierung dazu vermieden und stattdessen zunächst eine Debatte über die Finanzierung gefordert. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte, Brüssel könne sich zu den deutschen Plänen für einen Industriestrompreis nicht äußern, weil diese derzeit noch auf nationaler Ebene diskutiert würden.

Was die Länder vereinbart haben

Brückenstrompreis: In der „Brüsseler Erklärung“ heißt es, die infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine gestiegenen Energiekosten seien ein „akutes Hemmnis für die Erholung der Konjunktur und die Rückkehr der Industrieproduktion auf Vorkrisenniveau“. Den EU-Mitgliedsstaaten müsse es daher für einen Übergangszeitraum möglich sein, „einen wettbewerbsfähigen Brückenstrompreis vor allem für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen zu etablieren, bis bezahlbare erneuerbare Energien in hinreichendem Umfang zur Verfügung stehen“.

„Wir reden da über Stahl und Chemie, wir reden über Kupfer und Aluminium, über Glas, Keramik, Zement und noch etliche andere Industriezweige mehr“, sagte Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Diesen Branchen drohe „sehr, sehr großer Schaden“. Sein MPK-Stellvertreter Hendrik Wüst (CDU) aus Nordrhein-Westfalen sagte, man müsse einen Brückenstrompreis nicht schön finden. „Aber ich höre bisher auch keine andere Antwort von all denen, die das nicht wollen.“

Für den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) ist der Ruf nach stärkeren staatlichen Förderungen dagegen eine falsche Botschaft. Ein Brückenstrompreis für Deutschland konterkariere einen europäischen Ansatz, globale Probleme wie die Energiekosten gemeinsam anzugehen und drohe, den europäischen Binnenmarkt zu verzerren.

Finanzierung der Regionen: Bereits stark entwickelte Regionen sollten nach Ansicht der Länderchefs stärker von der EU gefördert werden. Starke Regionen seien die „Wachstums- und Innovationslokomotiven der EU“, heißt es in der „Brüsseler Erklärung“. Damit Europa im globalen Wettbewerb den Anschluss behalte, müssten vorhandene Stärken unterstützt werden.

NRW-Ministerpräsident Wüst sagte zur EU-Finanzierung: „Bisher geht es eigentlich darum, schwache Regionen stark zu machen.“ Aber auch starke Industrieregionen wie Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen stünden vor Transformationsherausforderungen.

Migration: Mit Blick auf die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen betonten die Länderchefs, dass diese solidarisch getragen werden müsse. Mit der Einigung der EU-Innenminister auf einen Migrationspakt sei es gelungen, auch Staaten in die Verantwortung zu nehmen, die bisher „praktisch keinen Beitrag“ geleistet hätten. Das Ziel eines solidarischen Systems dürfe nun nicht unterwandert werden. Die Ministerpräsidenten pochen weiter auf „rechtssichere und menschenrechtskonforme Verfahren an den EU-Außengrenzen“. Vor allem für Familien mit Kindern müsse besonderer Schutz sichergestellt sein.

Die EU strebt mit dem Migrationspakt einen deutlich härteren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive an. So sollen Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig in abgeschottete und kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

Umgang mit dem Wolf: Die Länderchefs fordern von der EU zudem die Möglichkeit, je nach Region unterschiedlich mit der Rückkehr des Wolfs umzugehen. Die europäische Artenschutzpolitik müsse „regionale Antworten auf regional unterschiedliche Herausforderungen beim Wolfsschutz ermöglichen“, heißt es in ihrer Erklärung.

Besonders Niedersachsens Regierungschef Weil hatte dafür geworben, den Abschuss von Wölfen zu erleichtern: Dort, wo es viele Wölfe gebe, müsse der Staat intervenieren können. Am Mittwochabend hatten Landwirte anlässlich der Konferenz in Brüssel dafür demonstriert, den Schutzstatus des Wolfes zu lockern.

Schnellere Verfahren: Als Grundpfeiler für eine erfolgreiche europäische Politik sprechen sich die Länderchefs darüber hinaus für weniger Bürokratie und schnellere Verfahren aus. Diese Stellschrauben gelte es bei allen Maßnahmen zu beachten, die notwendig seien, um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen