Bitte einsteigen, und zwar für 9 Euro: Der Nahverkehr könnte einen Ansturm erleben. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das von Berlin propagierte Ticket zur Abwehr hoher Energiekosten könnte wohl für das gesamte Netz des Verkehrsverbunds (VVS) gelten. Abo-Kunden sollen auch davon profitieren.

Neun Euro pro Monat, zu diesem Preis soll nach dem Beschluss der Bundesregierung der öffentliche Nahverkehr genutzt werden können. Der Preis soll für drei Monate gelten. Die Regierungskoalition hat das am 23. März beschlossen, um die Bürger von den hohen Energiekosten zu entlasten. Wie dieses Angebot genau aussehen soll, wurde nicht formuliert

Die Verbundunternehmen seien von der Maßnahme genauso überrascht worden wie die Länder, sagt Horst Stammler, einer der beiden Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS). Bei dem glühten am Freitag die Telefondrähte – weil Abokunden wissen wollten, ob sie ihr Ticket kündigen müssen, um an das sensationell günstige Angebot zu kommen. Zum Vergleich: Eine Fahrkarte für die einfache Fahrt durch alle Zonen kostet im VVS am Automaten 8,80 Euro, nach der Preiserhöhung zum 1. April sind es genau 9 Euro. Wer ein Jedermann-Abo hat, zahlt für die netzweite Gültigkeit zurzeit 193,33 Euro (ab 1. April 196,67) im Monat – kein Wunder also, dass die Telefone in der VVS.Geschäftsstelle in der Rotebühlstraße nicht mehr stillstehen. Die Koalition im Land peilt gerade eine 365-Euro-Jahresticket an, die Monatskarte wäre dann für rund 30 Euro zu haben.

Appell an Abo-Kunden: nicht kündigen!

„Wir wollen alle unsere Bestandskunden in diese Aktion einbeziehen, das ist aktuell die wichtigste Botschaft“, sagt Stammler, „wir wollen sie nicht schlechter stellen und übernehmen die Abrechnungsformalitäten“, so der Geschäftsführer. „Bleiben Sie in Ihrem Abo, wir kümmern uns drum und kommen auf Sie zu“, lautet sein Appell. Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung werde selbstverständlich begrüßt, auch wenn zuvor leider keine Beratung mit der ÖPNV-Branche stattgefunden habe.

Genauso wichtig wie das Signal an die Bestandskunden – der VVS zählt Ende 2021 rund 194 000 Abonnenten – ist der Ausblick auf die Umsetzung. Zum 1. April sei das Neun-Euro-Ticket mit voraussichtlich verbundweiter Gültigkeit nicht machbar, im Benehmen mit weiteren Verbünden wolle man versuchen, es zum 1. Mai für drei Monate einzuführen, „frühestens“, schränkt Stammler ein. Zuvor müssen Bundes- und Landesregierung Entscheidungen über die Zuschussmodalitäten treffen. Der Bund will für die Aktion „9 für 90“ die Regionalisierungsmittel erhöhen, die an die Länder gehen.

Busunternehmen sind gebeutelt

Etliche Unternehmen im VVS kämpfen noch mit den Folgen von Corona, zu deren Abfederung es ein weiteres Rettungspaket geben soll, und nun stehen sie spätestens seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine explodierenden Kraftstoffpreisen gegenüber. „Die stark getroffenen Busunternehmen schöpfen Liquidität auch aus dem Fahrscheinverkauf“, so Stammler, das Neun-Euro-Ticket könnte daher die existenzielle Gefährdung verstärken. Da muss womöglich ein Rettungsanker geworfen werden.

Die vor wenigen Tagen geendete Pflicht zum Homeoffice hat zu einer besseren Auslastung von Bussen und Bahnen geführt. „Wir sind bei rund 80 Prozent der Zahlen vor Corona“, sagt Stammler. Mit dem 9-Euro-Ticket ist ein enormer Ansturm zu erwarten. Man werde das Sitzplatzangebot nur in begrenztem Umfang ausweiten können, sagt der Geschäftsführer, bei der S-Bahn zum Beispiel seien 58 neue Züge bestellt, „aber wir haben sie noch nicht“. Corona habe dazu geführt, dass die Fahrgäste sensibler auf volle Busse und Züge reagierten als zuvor.