Schule 2020 – das bedeutet derzeit in vielen Bundesländern Unterricht mit Maske und bei offenem Fenster. Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

Mit einem teils sarkastischen Brief hat sich unter anderem die baden-württembergische Elterninitiative G9 jetzt! an die Kultusminister der Länder gewandt. Darin schicken sie die Politiker auf eine Gedankenreise in ein Klassenzimmer unter Pandemiebedingungen.

Stuttgart - Das Schreiben sticht zwischen den Hunderten Mails, Nachrichten und Briefen, die Lehrer, Schüler und Eltern in der Corona-Krise an Politiker schicken, heraus: Um den Kultusministern der Länder deutlich zu machen, unter welchen Bedingungen Kinder und Jugendliche derzeit in den Schulen lernen, rät ihnen die Initiative G9 jetzt! in einem offenen Brief, sich in eine Schulbank zu setzen: „Verlassen Sie Ihre wohltemperierten, klimatisierten Schreibtische oder Konferenzräume und planen Sie Ihre nächste Sitzung einfach einmal in einem durchschnittlich großen Klassenzimmer einer durchschnittlich ausgestatteten deutschen Schule. Die Anreise sollte unbedingt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen“, heißt es in dem Schreiben, das auch die baden-württembergische Gruppe der Initiative unterschrieben hat.

Zur Vorbereitung auf dieses – nach Möglichkeit fünftägige – Experiment empfehlen die Eltern den Politikern „Fellstiefel, Schal und Mütze, Wolldecken sowie Heißgetränke aus der Thermoskanne“ einzupacken. Und natürlich eine Maske. „Bitte denken Sie bei den Pausen auf dem Schulhof unbedingt daran, auch hier die Maske anzuziehen, es sei denn, Sie knabbern an den mitgebrachten Apfelschnitzen, da Ihre Schule möglicherweise kein warmes Mittagessen bietet“, schreiben die Eltern. Ängstliche Politiker könnten beruhigt sein: „In keiner Studie haben sich Kultus- und Bildungsminister als Treiber der Infektion herausgestellt“, heißt es in dem Schreiben, das nicht frei von Sarkasmus und Ironie ist.

Digitale Endgeräte per Los

Für eine umfängliche Schulerfahrung unter Corona-Bedingungen schlagen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefs außerdem vor, dass die Entscheider alle eine schriftliche Hausarbeit über „die Rolle von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie“ ausarbeiten sollen, wobei das Los entscheide, „wer mit digitalen Endgeräten arbeiten darf und wer mit Stift, Papier und der örtlichen Bibliothek zu einem guten Ergebnis kommen sollte“. Außerdem würden nur manche Teilnehmer dabei Unterstützung von Experten bekommen: „Schließlich stehen auch SchülerInnen nicht immer helfende Eltern zur Seite.“

Abschließend drücken die Verfasser eine Hoffnung aus: „Wir sind überzeugt, dass Ihnen diese Woche in mancherlei Hinsicht die Augen öffnen wird und Ihre Agenda anschließend etwas anders aussieht. Auch Ihre Einstellung zu Luftfiltern in den Klassenräumen könnte sich möglicherweise geändert haben.“

Beklommenes Gefühl

Der mitunter ironische Brief hat für die Eltern einen ernsten Hintergrund. Sie versuchen damit, ihr „von Tag zu Tag beklommeneres Gefühl“ zum Ausdruck zu bringen, mit dem sie ihre Kinder vor dem Hintergrund von Maskenpflicht, regelmäßigem Lüften und mangelnder digitaler Ausstattung in die Schulen schicken.

Kritik an der Situation der Schüler und Lehrer ist für die Kultusminister der Länder nichts Neues. In Baden-Württemberg kritisierte zuletzt ein Lehrerverband die Arbeitsbedingungen, unter denen seine Mitglieder derzeit Unterricht halten müssen. Der Landesschülerrat fordert den Einsatz von Luftfiltern, die verhindern, dass im Winter regelmäßig die Fenster geöffnet werden müssen.

Enger Kontakt des Ministeriums zu Schulen

Das baden-württembergische Kultusministerium betont regelmäßig, dass man um die Belastungen für Schülerinnen und Schüler ebenso wie für das Lehrpersonal weiß – und die Sorgen und Nöte ernst nimmt. „Wir stehen mit den Schulen im Land in einem engen Kontakt und reagieren auf Rückmeldungen aus der Praxis, wie etwa jüngst bei der Maskenpflicht“, betonte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kürzlich. Das Kultusministerium hatte die Maskenpflicht, die zunächst in Unterricht und Pausen galt, nach Protesten von Schülern und Eltern auf den schulischen Draußenflächen gelockert.

Beim Thema Luftfilter verweist das Ministerium auf die Zuständigkeit der Schulträger, also der Kommunen, in deren Verantwortungsbereich das Thema liege. „Sie könnten dabei auch auf Mittel zurückgreifen, die das Land bereits zur Verfügung stellt“, so eine Sprecherin des Ministeriums, unter anderem auf den kommunalen Sanierungsfonds (etwa 480 Millionen Euro) oder die Mittel für die Schulsanierung im Doppelhaushalt 2020/21 (je 100 Millionen Euro).

Umweltbundesamt empfiehlt Stoßlüften

Außerdem verweist das Ministerium darauf, dass das Umweltbundesamt (UBA) in seiner Handreichung für Schulen das regelmäßige Lüften als zentrale Maßnahme beschreibt, um das Risiko zu reduzieren, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Laut den Experten bestehe keine Gefahr, dass sich Lehrerinnen und Lehrer, Kinder und Jugendliche durch das Stoßlüften bei niedrigen Temperaturen erkälten könnten. Die Raumtemperatur sinke durchs Stoßlüften nur um zwei bis drei Grad.

Kultusministerin Eisenmann hat schon mehrfach betont, dass alle Maßnahmen dazu dienten, „flächendeckende Schulschließungen zu verhindern. Unser Ziel ist und bleibt der Präsenzunterricht.“ Man komme „nur gemeinsam durch diese Pandemie“, so Eisenmann. „Das zeigen auch unsere Schulen, die in diesen Zeiten Herausragendes leisten.“

Einen temporären Schul-Lockdown, wie ihn Innenminister Thomas Strobl (CDU) jüngst ins Spiel gebracht hat, schloss sie aus.