Im sozialen Wohnungsbau im Land geht es zu langsam voran. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Baden-Württemberg will den sozialen Wohnungsbau ankurbeln und legt Wert auf nachhaltiges Bauen. Die Wohnungsbauministerin muss jetzt ihre eigene Vorgabe aussetzen.

Nach heftiger Kritik hat Wohnungsministerin Nicole Razavi (CDU) die Vorgaben für die Förderung im sozialen Wohnungsbau gelockert und die sogenannte Nachhaltigkeitszertifizierung „bis auf Weiteres“ ausgesetzt. Das geht aus der Antwort Razavis auf einen Antrag der FDP hervor, die unserer Zeitung vorliegt. Betroffen sind demnach „Vorhaben mit einem Gesamtumfang von bis zu insgesamt 100 geförderten und nicht geförderten Wohneinheiten“, wie es in dem Antrag heißt.

Die Zertifizierung war eine zwingende Voraussetzung, um Geld aus dem Landeswohnraumförderungsprogramm Wohnungsbau BW 2022 zu erhalten. Das Programm trat am 1. Juni in Kraft. Die Aussetzung gilt rückwirkend.

Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel

Razavi verwies darauf, dass der Kampf gegen den Klimawandel eine der Prioritäten der Landesregierung sei. „Es gilt gerade bei der Nachhaltigkeit von Gebäuden Fortschritte zu erzielen und damit das Ziel des unmittelbaren Klima- wie des Ressourcenschutzes mit Nachdruck zu verfolgen“, schreibt sie an die FDP und deren wohnungsbaupolitischen Sprecher Friedrich Haag.

Die Zertifizierung scheint aber derzeit nicht der richtige Weg dahin zu sein. Zuvor hatte schon Daniel Born, der wohnungsbaupolitische Sprecher der SPD, von einer „Pleite mit Ansage“ und „massiven Problemen“ der Wohnungswirtschaft mit der Zertifizierung gesprochen. „Die Zertifizierung scheint den Wohnungsbau im Land zu verzögern, zu verteuern und gar zu verhindern“, hatte Born kritisiert und Korrekturen an den Fördervoraussetzungen verlangt. Auch die FDP hörte Klagen von Bauwilligen. Die Zertifizierung sei zu teuer, zu aufwendig, zu bürokratisch und würde das Ziel, mehr sozialen Wohnraum zu schaffen, konterkarieren.

Klagen und Bedenken von Bauwilligen

Der Knackpunkt ist das Personal. Es seien nicht genügend Auditoren verfügbar, um die Zertifikate zu erstellen, führt das Ministerium selbst an und setzt deshalb die Vorschrift aus – aber nur vorläufig. Das Ministerium werde den Nachweis über nachhaltiges Bauen „als Fördervoraussetzung wieder einfordern, wenn sich die Situation bei der Verfügbarkeit von Auditoren deutlich verbessert hat“, betont Razavi in ihrer Antwort auf die FDP-Anfrage.

Wann das sein könnte, ist einem Sprecher der Bauministerin zufolge schwer abzuschätzen. Man wisse, dass die Zertifizierungsagenturen sehr um die Ausbildung von Auditoren bemüht seien. „Möglich wäre dann auch eine stufenweise Rückkehr zu der ausgesetzten Regelung, zunächst etwa für größere Mehrfamilienobjekte“, sagte der Sprecher unserer Zeitung.

FDP kritisiert „Blauäugigkeit im Ministerium“

Friedrich Haag zeigt sich „schockiert über die Blauäugigkeit im Ministerium“. Er sei „erschrocken, dass dem Wohnministerium erst im Nachhinein auffällt, dass es Auflagen erlassen hat, die aufgrund fehlender Auditoren überhaupt nicht erfüllbar sind“. Er fordert, „dass Auflagen sauber geprüft werden, bevor unnötige Kosten verursacht werden“. Wohnen dürfe nicht noch teurer werden.

Auch Daniel Born (SPD) ätzt: „Da nützt auch ein sorgfältig inszenierter Strategiedialog für Bauen und Wohnen nichts, wenn in der alltäglichen Arbeit der Landesregierung die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum behindert wird.“