Von so einem Architektenhaus im Voralpen-Idyll träumen viele Familien: das Einfamilienhaus S wurde vom Stuttgarter Büro Yonder in Oberreute im Allgäu für Berliner Stadtflüchtlinge entworfen. Foto: Brigida González/Yonder

Viele Menschen zieht es verstärkt aus den Ballungszentren hinaus ins ländliche Umland. Der wichtigste Grund für die Stadtflucht: Günstigerer Wohnraum. Und die Hoffnung auf ein stressfreieres Leben. Doch es gibt noch andere Ursachen für die Wanderbewegung.

Die Stadtflucht ist zurück, die Menschen ziehen wieder raus – so lässt sich der neue Trend in der Wohnortwahl der Deutschen zusammenfassen. Und: Mehr Menschen in Deutschland ziehen heute aufs Land, also in die Dörfer. Damit hat sich die Binnenmigration in den vergangenen zehn Jahren deutlich gewandelt. So lautet das Fazit eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung sowie der Wüstenrot Stiftung.

Aktuell erzielen deutschlandweit rund zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne – ein Jahrzehnt zuvor galt dies nur für rund jede vierte Landgemeinde. Eine ähnliche Entwicklung erlebten die Kleinstädte. „Diese Veränderungen im Wanderungsverhalten deuten sich schon länger an, seit 2017 hat die neue Landlust dann an Fahrt aufgenommen. Corona hat diesen Trend noch einmal verstärkt“, erläuterte Frederick Sixtus, Projektkoordinator Demografie beim Berlin-Institut, bei der Vorstellung der Studienergebnisse.

Große Herausforderungen

Doch wer sind die neuen Landbewohner? Es seien vor allem Menschen im klassischen Familienalter zwischen 30 und 49 Jahren mit ihren minderjährigen Kindern und Berufseinsteiger zwischen 25 und 29 Jahren, die ländliche Regionen für sich entdecken. Erschwinglicher Wohnraum, eine gute Verkehrsanbindung, ein schneller Internetanschluss und eine gute Kinderbetreuung locken die Menschen in den Ort.

Selbstverständlich ist das nicht. Gerade im ländlichen Raum stehen die Menschen vor großen Herausforderungen. Wie steht es um die Infrastruktur, in weit ist es bis zum nächsten Autozubringer, wie gut ist die Anbindung mit Bahn und Bus? Existiert im Dorf eine hausärztliche Betreuung? Wie sieht es mit Internet aus? Existiert ein vitales Vereinsleben, das einem den Zugang zu der ansässigen Bevölkerung erleichtert? Gibt es eine Kita und einen Supermarkt?

Kneipen- und Ladensterben auf dem Land

So einfach ist es das alles nicht, wie es scheint. Das betonen auch die Macherinnen und Macher der Studie, die für ihre Arbeit nicht nur Zahlendaten erhoben und verglichen haben, sondern auch exemplarisch in sechs dörflichen Gegenden mit Umfragen herausbekommen haben, wo der Schuh drückt und welche Perspektiven möglich sind. Denn vielerorts auf dem Land verschwinden immer mehr Kneipen, Gaststätten oder Bäckereien im Ortskern. Von den Hausärzten ganz zu schweigen.

Deshalb braucht es neue Ideen, hieß es. Damit die Ortskerne wieder belebter werden, packen viele Menschen an und schaffen Treffpunkte. Sie machen aus Brachen und Leerständen lebendige Orte, eröffnen Pop-up-Stores oder Räume für Workshops, Ausstellungen, Konzerte oder Nachbarschaftstreffen.

„Ideenreichtum und ehrenamtliches Engagement sind schon immer ein wesentlicher Garant für die Lebensqualität in Dörfern und kleinen Städten“, betonte Manuel Slupina, Leiter des Themengebiets Stadt und Land der Wüstenrot Stiftung. „Mit den Zugezogenen kommen weitere potenziell Engagierte, die das Dorfleben mitgestalten und mit Ideen stärken können.“ Und genau diese Aussicht auf Mitgestaltung und Anerkennung, letztlich auf mehr Gemeinschaft, sei ein weiteres Motiv für den Wegzug aus den tendenziell anonymen Großstädten.

Nach Jahren des Großstadtbooms scheinen demnach viele Deutschen genug von den überfüllten und überteuerten Zentren zu haben. Auch die Binnenmigration von Ost nach West scheint erst einmal der Vergangenheit anzugehören. Eine gute Nachricht.

Doch die Verantwortlichen in den Rathäusern auf dem Land stehen vor der Aufgabe, das frische Interesse und den Zuzug nachhaltig und zukunftsgerichtet zu gestalten. Statt Einfamilienhaussiedlungen auf der grünen Wiese auszuschreiben, sollten sie zuerst die Innenentwicklung vorantreiben, so lautete der Tenor bei der Präsentation der Studie. Ortskerne, in denen Häuser verfallen und Begegnungsorte dichtmachen, laden nicht zum Verweilen und zum Austausch ein.

Alter Traum vom Haus im Grünen

Man sollte nicht den Fehler der Vergangenheit wiederholen. Die neue Landlust folgt dem alten Traum vom Haus im Grünen, der schon während der Industrialisierung die ersten Abwanderungen ins Umland auslöste. Die Hochphase der Stadtflucht wurde im Nachkriegsdeutschland erreicht, als im Umland aller Großstädte hauptsächlich Reihenhaussiedlungen mit hohem Flächenfraß entstanden, die das ehemals ländlich geprägte Land in einen Siedlungsbrei verwandelten und für immer veränderten.

Bleibt nur noch die Frage nach den Städten, die aufgrund des Wegzugs schrumpfen müssten. Doch dem ist nicht so, haben die Demografen herausgefunden, da die Binnenmigration durch die steigende Zahl von Einwanderern aus dem Ausland vollständig kompensiert werde.