Die Tage der heimischen Nadelhölzer wie Tannen oder Fichten sind gezählt. Foto: Jürgen Bach

Es wird zunehmend wärmer und trockener in unserer Region. Deshalb hat das Forstamt in Zusammenarbeit mit der Gemeinde begonnen, den Wald mit unterschiedlichen Baumarten resilienter zu gestalten.

Wann kann die Stadt Rutesheim mit ihrem ersten eigenen Esskastanien-Stand auf dem Weihnachtsmarkt aufwarten? Bei dieser Frage musste Alexandra Radlinger die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Rutesheimer Waldrundgangs vertrösten. „Vielleicht in 20 bis 30 Jahren, das dauert noch ein Weilchen“, sagte die stellvertretende Amtsleiterin für Forsten im Landratsamt Böblingen. Sie war mit ihrem Kollegen, Forstrevierleiter Ulrich Neumann, in den Stadtwald Rutesheim gekommen, um in einer öffentlichen und zugleich anschaulichen Gemeinderatssitzung zu aktuellen Themen zu informieren. Etwa 40 Personen waren der Einladung der Verwaltung gefolgt und begaben sich auf einen mehrstündigen Spaziergang auf den Wegen rund um Tannenwaldhütte.

Esskastanie ist klimaresilient

Was hat es mit den Esskastanien auf sich? Rutesheim ist nicht die einzige Kommune, die sich wegen des Klimawandels Sorgen um den insgesamt 536 Hektar großen städtischen Wald machen muss – und daher künftig auch dort, wo einst der Nadelwald die Vorherrschaft hatte, auf klimaresiliente Baumsorten baut. Und das ist unter anderem die Esskastanie. Nadelhölzern wie Fichten oder Tannen geht es zunehmend schlechter. Ihre Kronen sind ausgedünnt und vertrocknet. „Sie haben in den nächsten Jahren wenig Überlebenschancen, für sie ist es in unserer Region zu warm, es fallen zu wenig Niederschläge“, erklärte Ulrich Neumann.

In Rutesheim sei bereits das mildere Weinbauklima zu spüren, das sich ab Ludwigsburg in Richtung Norden erstrecke. Ganz anders sei es im noch etwas kühleren Schönbuch. Eine weitere Gefahr sei der gefräßige Borkenkäfer, der sich rasant vermehre und die Hölzer flächendeckend vernichten kann. Sobald er gesichtet wird, ist deshalb große Eile geboten und das geschädigte Holz muss innerhalb von sechs Wochen aus dem Wald geschafft sein.

Der Wald-Nutzungsplan wird korrigiert

Vor etwa elf Jahren hatte der Rutesheimer Gemeinderat einen zehnjährigen Wald-Nutzungsplan beschlossen. Dieser wurde auf Grund der aktuellen klimatischen Entwicklungen zur Halbzeit im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit dem Revierforstleiter noch einmal korrigiert. „Wir waren in den vergangenen fünf Jahren fast nur damit beschäftigt, das geschädigte Holz zu beseitigen und waren dabei die Getriebenen“, sagte der Forstrevierleiter, der beim Landratsamt angestellt ist. „Also dachten wir noch einmal um, weil wir die Klimawandel-Anpassung aktiv gestalten wollen“, erklärte Alexandra Radlinger. Wo früher hauptsächlich Nadelgehölz stand, wird zunehmend auf Artenvielfalt gesetzt. An einer solchen Stelle im Wald bleiben die Waldbesucher stehen. Großgewachsene Fichten wurden auf dieser Lichtung hier vor einiger Zeit gefällt. Am Boden wird dem wilden Wuchs freien Lauf gelassen – ein Paradies für Rehe und sonstige Tierarten. In regelmäßigen Abständen ragen schützende Plastikumhüllungen in die Höhe. Noch schauen die Pflänzchen nicht heraus. Doch hier sollen neben den bereits erwähnten Esskastanien auch widerstandsfähige Douglasien aus der Gattung der Kieferngewächse oder Eichen wachsen. Eine Mischung aus Nadel- und Laubbäumen. Mit den Bäumen ist es allerdings wie mit anderen Lebewesen. Nicht alle vertragen sich. So gibt es beispielsweise Lichtbaumarten und Schattenbaumarten. „Ich habe eine Standortkarte, auf der genau steht, wo ich was pflanzen kann“, sagte Neumann.

Auf einem anderen Waldstück wachsen Fichten, die vor etwa 20 Jahren gepflanzt wurden. Dazwischen schauen junge Laubbäume hervor. Einzelne Stämme sind mit grell-roter Farbe markiert. Diese Reihen werden demnächst gelichtet, damit die anderen Bäume wieder mehr Platz haben. Das Ziel sind stabile, vitale und breite Stämme. „Wenn man nichts macht, schießen die Bäume wettbewerbsgleich in die Höhe ins Licht, und sie werden kopflastig“, erklärte Ulrich Neumann. Gutes Nadelholz werde gerne in der Bauwirtschaft verwendet. „Doch die Zeiten, da man mit dem Wald Geld verdienen konnte, sind längst vorbei“, sagte die Rutesheimer Bürgermeisterin Susanne Widmaier. In der Zwischenzeit gehe es darum, den Wald in seiner Multifunktionalität zu erhalten und zu schützen. Er solle dem Menschen nicht nur Nutzen bringen, sondern ihn auch schützen und Erholungsraum bieten.

Rutesheim verzichtet auf ein Förderprogramm

Auf ein mögliches Förderprogramm „Klimaangepasstes Waldmanagement“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, das sich über 20 Jahre erstreckt, verzichtet die Stadt Rutesheim in Absprache mit dem Forstamt des Landratsamtes bewusst. Insgesamt 900 Millionen Euro stehen zur Verfügung. Herunter gerechnet würde Rutesheim pro Jahr mit etwa 9000 Euro profitieren. „Dabei müsste man allerdings viele Unwägbarkeiten in Kauf nehmen“, sagte Alexandra Radlinger. Von insgesamt zwölf zu erfüllenden Kriterien hätte man in Rutesheim zwar acht ohnehin erfüllt. Schwierig werde es beispielsweise, wenn gewisse Waldstücke über 20 Jahre unangetastet bleiben müssten. „Die Förderrichtlinie ist in diesem Fall kontraproduktiv, und das würde uns einschränken. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den richtigen Weg gehen, indem wir den Wald aktiv gestalten und ihn somit klimaresilient machen“, so die Forst-Expertin.