Nichts geht mehr, alles ist gesperrt, das Wasser längst abgelassen. Foto: Avanti/Ralf Poller

Generationen von Kindern haben hier schwimmen gelernt, seit Monaten steht das Hallenbad im Kreis Ludwigsburg aber nun leer – und wird auch nie wieder befüllt. Utensilien wie Schwimmflossen liegen noch da. Unsere Serie über Lost Places

Es ist noch nicht lange her, da kreischten hier Kinder beim Planschen, ermahnten Lehrer vom Beckenrand aus ungehorsame Schüler und riefen Trainer Schwimmern Tipps zu, wie sie schneller durchs Wasser pflügen können. Bis Sommer 2022 war dies das tägliche Bild auf den drei Bahnen des Hermann-Zanker-Bads in Marbach. Dann wurde die Sportstätte aus den 60er-Jahren wegen Sicherheitsmängeln geschlossen – erst vorübergehend, später endgültig.

Lost Place wie ein Komapatient

Seitdem wurde das Bad mehr oder weniger seinem Schicksal überlassen. Ein Hausmeister schaut regelmäßig nach dem Rechten, damit keine ungebetenen Gäste in den verlassenen Räumen auf den Putz hauen. Und wie bei einem Komapatienten ohne jegliche Hoffnung auf Genesung werden die absolut unentbehrlichen Maschinen am Laufen gehalten. Die Stromzufuhr muss garantiert sein, die Heizung funktionieren, alleine schon, weil Sauna und Physiopraxis im Eingangsbereich nach wie vor geöffnet haben.

Doch die Tage des Gebäudes sind bald gezählt. 2027 sollen die Abrissbagger anrücken. Sie werden das Gelände für einen Erweiterungsbau des Deutschen Literaturarchivs freiräumen.

Ohne Nass zu werden, kann man in das Becken steigen. Foto: Avanti/Ralf Poller

Bei einem Spaziergang durch das Bad könnte man allerdings stellenweise den Eindruck gewinnen, dass einige frühere Nutzer Hals über Kopf das Gebäude verlassen haben. Aus Furcht, die Mauern könnten bereits in den nächsten Minuten eingerissen werden. Die Pokale, die von Triumphen der Wassersportler bei Wettkämpfen zeugen, sind weiter in der Vitrine ausgestellt. Im Büro des Bademeisters hängen Handtücher über der Heizung, auf dem Boden liegen Schwimmflossen. Auf dem Schreibtisch ist die Kopie eines Zeitungsartikels ausgebreitet, in dem über die drohende Schließung des Bads berichtet wird. In einem Lagerraum stapeln sich Schwimmnudeln. Aus dem Regal kann man eine Box mit CDs und Kassetten ziehen.

Kurse oder Veranstaltungen, die mit Musik untermalt werden, gehen aber längst nicht mehr in dem Bad über die Bühne. Das Wasser wurde auch schon vor Langem abgelassen. „Aber erst, nachdem der Gemeinderat sich gegen eine Sanierung und für den Abriss ausgesprochen hatte“, betont Martina Klein, die bei der Stadt das Grundstücks- und Gebäudemanagement unter ihren Fittichen hat. Denn für einen Weiterbetrieb hätte das Nass im Becken bleiben müssen, damit die Fliesen keinen Schaden nehmen, erklärt Klein. Das ist jetzt herzlich egal. Man kann nun auch in voller Montur die sechs Stufen bis zum Grund des Bassins hinabsteigen, ohne auch nur einen Spritzer abzubekommen. Das weiß auch eine fette Spinne zu schätzen, die hier auf die Jagd zu gehen scheint. Mit einem rot-weißen Flatterband ist hingegen der Drei-Meter-Turm abgesperrt. Wobei es selbstredend ohnehin keine gute Idee wäre, sich jetzt von dort hinabzustürzen.

Eine gespenstische Atmosphäre herrscht auf den Gängen. Foto: Avanti/Ralf Poller

In der gegenüberliegenden Ecke sind weiße Plastikliegen übereinandergestapelt. „Im Sommer hatten wir die noch draußen auf der Wiese, aber da haben es sich natürlich gleich Jugendliche gemütlich gemacht“, erzählt Klein. Die Heranwachsenden seien über ein Tor geklettert, hätten dann Partys gefeiert. Früher war es kein Problem, wenn es während der Öffnungszeiten auf der Freifläche lauter zuging. Im Kinderbecken konnten die Kleinen planschen, die Eltern das Treiben von der Liegewiese aus beobachten. Mittlerweile dient das Gelände als Lagerfläche. Die Baufirma, die die Marbacher Fußgängerzone seit einiger Zeit herausputzt, hat dort Steine deponiert.

Eine fast gespenstische Atmosphäre herrscht in den Umkleidekabinen. Dort ist es mucksmäuschenstill. Die Holzbänke stehen zwar noch an Ort und Stelle. Doch fehlen die schwatzenden Schüler, die hier gesessen und sich Strümpfe hochgezogen und Schuhe gebunden oder ihre Kleider in einen der Netzbügel gestopft haben. Es gibt im Grunde auch nichts im Bad, was sich wie bei einer Haushaltsauflösung zu Geld machen ließe, sagt Martina Klein.

Lost Place mit hohen Kosten

Trotzdem kann man sich dank der Führung durch die stillgelegte Sport- und Lehrstätte sehr gut vorstellen, warum Bäder so hohe Kosten verursachen, beim Bau wie im Betrieb. Vor allem, wenn man über enge Stufen in die Technikzentrale hinuntersteigt. Ein Wirrwarr an Leitungen durchzieht die Räumlichkeiten unter den Gängen. An den Rohren prangen etliche Messgeräte. Eine Tafel vermittelt zudem einen Eindruck, wie penibel alles kontrolliert werden musste. Dort ist aufgelistet, welcher Arbeitsschritt in welchem Rhythmus an der Reihe ist.

Die Heizung wird in abgespeckter Version in Gang gehalten. Foto:  Avanti/Ralf Poller

Deutlich wird bei einem Rundgang ferner, dass das Bad weiter den Charme seiner Bauzeit versprüht. Und die liegt immerhin schon mehr als 55 Jahre zurück. Die Fliesen sind echte Originale, ebenso wie Hinweistafeln in dem Bad. „Man hat das gemacht, was gemacht werden musste“, sagt Martina Klein. Schon lange hing deshalb das Damoklesschwert einer drohenden Schließung über der Sportstätte. Die Stadt plant nun einen Neubau an anderer Stelle. Doch die Finanzierung steht in den Sternen. Vielleicht hat es sich also in Marbach für absehbare Zeit komplett ausgebadet.

Geheimnisvolle Orte in der Region

Lost Places
Der Begriff beschreibt verlassene Orte, oftmals handelt es sich um aufgegebene, dem Verfall überlassene Gebäude. Nicht immer haben diese historische Bedeutung. Gemein ist ihnen ihre geheimnisvolle Aura. „Lost Places“ ist ein Pseudoanglizismus, der sich im deutschsprachigen Raum etabliert hat.

Serie
In loser Folge stellen wir Lost Places in der Region Stuttgart vor, erzählen ihre Geschichte und dokumentieren fotografisch ihr morbides Ambiente. Manche dieser Orte sind offen sichtbar, andere verfallen – teils seit Jahrzehnten – unbemerkt von der Öffentlichkeit.