Russische Panzer fahren nach Ende einer Übung zurück zu ihren Stützpunkten Foto: dpa/Uncredited

Fachleute warnen: die Situation bleibt ernst, sowohl in der Ostukraine als auch vor der Krim. Die Lage sei nur vordergründig entschärft.

Berlin/Kiew - Drei Tage, vielleicht fünf. Das ist der Zeitraum, in dem in der Ukraine noch alles passieren kann. Auch ein großer Krieg. So beurteilen Militärfachleute die Lage. „Die Situation ist weiter extrem ernst und wird sich noch verschärfen“, warnt der Danziger Sicherheitsexperte Konrad Muzyka, der als einer der besten Militäranalysten in Europa gilt. An seiner Einschätzung hat auch die russische Ankündigung nichts geändert, Truppen in die Kasernen zurückzubeordern. Im Gegenteil: „Es treffen immer neue Züge mit Ausrüstung ein.“ Und auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt: „Russland scheint den Aufmarsch fortzusetzen.“

Lage könnte sich verschärfen

Besonders zugespitzt ist die Lage, weil sich zwei russische Großmanöver dem Ende nähern. Die Übung in Belarus mit mehreren Zehntausend Soldaten soll bis Sonntag dauern. Ein Seemanöver vor der Halbinsel Krim wird nach Angaben aus Moskau spätestens am Freitag beendet. Fachleute halten aber gerade diese Phase für gefährlich. Am Ende von Manövern sei die Lage oft so unübersichtlich, dass sie den getarnten Übergang in eine Offensive ermögliche. Hinzu kommt, dass am Sonntag die Olympischen Spiele in Peking enden. Viele Beobachter gehen davon aus, dass Russland China das Großereignis nicht durch einen Krieg „verderben“ will. Rechnet man so, könnte sich die Lage in der neuen Woche verschärfen.

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In der Ukraine feiern und singen sie am Mittwoch trotzdem. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den 16. Februar zum „Tag der Einheit“ erklärt. Vor Schulen, Behörden oder auf dem Kiewer Maidan wehen blau-gelbe Flaggen. Um 10 Uhr stimmen Menschen überall im Land die Hymne an: „Leib und Seele geben wir für unsere Freiheit.“ Anlass für die Aktion ist eine Warnung der US-Geheimdienste, die das Datum als „D-Day“ genannt hatten. Als den wahrscheinlichsten Tag für einen russischen Generalangriff auf das Nachbarland. Doch am Mittwoch verstreicht Stunde um Stunde ohne Invasion.

Selenskyj setzt auf auf Zusammenhalt der Gesellschaft

Für die Menschen in der Ukraine ist all das höchst verwirrend. Umso stärker setzt die Regierung in Kiew auf Beruhigung. Denn das Schlimmste, was aus ihrer Sicht passieren könnte, wäre eine Panik im Land. Seit Tagen appelliert Präsident Selenskyj an den Zusammenhalt in der Gesellschaft. „Nur gemeinsam können wir unsere Heimat schützen“, sagt er am Mittwoch.

Die Ruhe könnte trügerisch sein: Nach Einschätzung des Moskauer Sicherheitsexperten Dmitri Trenin, der über beste Kontakte in den Kreml verfügt, ist Russland dabei, ein „Spannungsplateau“ zu errichten. Demnach wird sich an der grundsätzlichen militärischen Lage rund um die Ukraine auf absehbare Zeit nicht viel ändern: kein schneller Angriff, aber dauerhafte Invasionsdrohung. Darauf deutet auch die politische Entwicklung in Moskau hin. Denn noch am Dienstag, als die Regierung den Truppenabzug erstmals ankündigte, forderte die Staatsduma per Resolution vom Präsidenten die Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk im ostukrainischen Donbass.

Putin selbst sagte bei der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz, in der Region drohe ein „Genozid“, verübt von ukrainischen Soldaten an der einheimischen Bevölkerung. Belege dafür gibt es nicht. Hinter der Aussage verbirgt sich aber eine erneute Kriegsdrohung. Denn Russland hat inzwischen mehrere Hunderttausend Pässe im Donbass ausgegeben und dadurch ebenso viele Menschen zu eigenen Staatsbürgern gemacht. Das könnte der Kreml jederzeit zum Anlass nehmen, „Schutztruppen“ in die Gebiete Donezk und Luhansk zu schicken.