Das Drama im Eiskunstlauf von 1994: „Eishexe“ Tonya Harding gegen Darling Nancy Kerrigan – die Attacke mit einer Eisenstange jährt sich zum 30. Mal.
Ihr Name ist ein anderer. Seit ihrer dritten Hochzeit im Jahr 2010 heißt sie Tonya Price. Und sie legt auch Wert darauf, so genannt zu werden. Denn ihr Mädchenname ist verbunden mit einem der größten Skandale der US-amerikanischen Sportgeschichte. Und deshalb ist Tonya Price für die Öffentlichkeit schlichtweg immer noch Tonya Harding, die „Eishexe“ – und wird dies wohl auch für den Rest ihres Lebens bleiben.
Es ist der 6. Januar 1994, als Tonya Harding nicht nur das Interesse der Eiskunstlauffans auf sich zieht, sondern auch das des FBI. In der Detroiter Cobo-Arena stehen die US-Meisterschaften an, bei denen die beiden Starterinnen für die Olympischen Winterspiele sechs Wochen später in Lillehammer ermittelt werden. Alle freuen sich auf das Duell von Tonya Harding gegen Nancy Kerrigan. Doch dazu kommt es nicht.
Nancy Kerrigan wird nach dem Training attackiert
Als Kerrigan nach dem Training vom Eis Richtung Katakomben geht, schreit sie plötzlich lautstark auf. Hinter einem Vorhang hatte jemand mit einer Eisenstange auf ihr rechtes Knie geschlagen. „Why? Why?“, fragt Kerrigan am Boden sitzend vor Schmerz und unter Schock. Doch auf ihr „Warum?“ gibt es zunächst keine Antwort.
Kerrigan gilt als Amerikas Darling. Sie kommt aus einem liebevollen Elternhaus, wirkt auf dem Eis elegant und graziös. Auch ohne WM-Titel und Olympiasieg verdient sie durch Werbung bereits viel Geld. Harding ist das komplette Gegenteil, wird von ihrer strengen Mutter oft getriezt. Und trotz ihrer unglaublichen Sprungkraft entspricht sie mit ihren blonden Locken und dem kräftigen Körper nicht dem Ideal der schönen Eisprinzessin. Ihre Hoffnung: Olympiasiegerin werden und den Titel dann mit lukrativen Sponsorenverträgen vergolden.
Tonya Harding tritt trotz allem bei Olympia 1994 an
Kerrigan erhält für Lillehammer vom US-Verband einen Freifahrtschein. Die allmählich aufkommenden Gerüchte, dass Harding etwas mit der Attacke zu tun haben könnte, weist die Beschuldigte zurück. Doch das FBI weist nach, dass ihr einstiger Ehemann sowie dessen Kumpel jemanden bezahlt hatten, um Kerrigan zu verletzen. Zwei Wochen vor den Winterspielen gibt Harding zu, nach dem Vorfall Sachen mitbekommen, diese aber nicht der Polizei gemeldet zu haben.
Viele erwarten, dass Harding die Konsequenzen zieht und auf einen Olympiastart verzichtet. Doch die denkt gar nicht daran. Halb Amerika sitzt am 25. Februar 1994 vor dem Fernseher, um Tonya Harding gegen Nancy Kerrigan zu sehen. Doch das vermeintliche Duell um Gold ist keins. Kerrigan holt Silber, Harding reißt beim Warmlaufen zur Kür das Schuhband. Sie kommt komplett durcheinander, patzt und wird nur Achte.
Nancy Kerrigan verzeiht ihrer Widersacherin
Kerrigan hat ihrer einstigen Widersacherin verziehen. „Ich habe ihr immer das Beste gewünscht. Sie hat Familie, ich auch – darauf sollten wir uns fokussieren. Es ist Zeit, nach vorne zu schauen“, meinte sie in einem TV-Interview 2014. Während Kerrigan nach wie vor äußerst populär ist, wurde Harding gehasst, beschimpft und verfolgt: „Leute haben meine Haustür, meinen Briefkasten und meine Trucks mit Kot beschmiert.“ Das Image der Eishexe konnte sie bis heute nicht ablegen. „Ich wusste, dass der Vorfall mein ganzes Leben lang mit mir verbunden sein würde“, sagt die mittlerweile 53-Jährige.
Wenige Wochen nach Lillehammer wurde Harding wegen Justizbehinderung zu drei Jahren Haft auf Bewährung und 500 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Hinzu kamen diverse Geldstrafen, deren Gesamtsumme sich auf rund 150 000 Euro belief. Und der US-Eislaufverband schloss sie auf Lebenszeit aus. Sie hat bis heute finanzielle Probleme und verdient sich mit Gelegenheitsjobs ihren Lebensunterhalt. Mal als Schweißerin, mal als Malerin. Zwischendurch war sie Verkäuferin in einem Baumarkt. 2003 versuchte sie es sogar mit einer Boxkarriere. Jedes Mal, wenn sie in den Ring stieg, wurde sie gnadenlos ausgebuht.