Presswehen schieben das Kind immer tiefer ins Becken und durch den engen Geburtskanal. Es schraubt sich hinein, dreht sich dabei, verändert immer wieder die Haltung des Kopfes, taucht unter dem Steißbein durch. Foto: franziskamolina.eu

Als Barbara Rolf ihre Tochter bekam, wollte sie, dass alle sehen können, wie eine Geburt abläuft. Sie ließ sich von einer Fotografin während der Entbindung begleiten. Entstanden sind Fotos, die von der Kraft der Frauen und vom größten Wunder überhaupt erzählen: dem Leben.

Die Frau hat den Kopf auf den Rand des blauen Beckens gelegt. Die Augen sind geschlossen, ihr Ausdruck: erschöpft, auch friedlich. Drei, vier Minuten kann sie ausruhen, bis die nächste Wehe kommt, bis sich die Gebärmutter zusammenzieht, sich die Muskeln im Kreuzbein dehnen, um dem Kind Platz im Becken zu machen. Als würde jemand an den innersten Fasern des Körpers zerren und zugleich ein Feuerzeug daran halten. So fühlt sich das an.

Alle fünf Minuten wird in Baden-Württemberg ein Kind geboren, 113500 waren es 2021. Meist beginnt das Leben hinter geschlossenen Türen. Zuhause. In Geburtshäusern. In 98 Prozent der Fälle im Kreißsaal einer Kliniken. Was dort geschieht, bleibt dort. Das sehen nur die wenigen, die dabei sind. Der Vater, eine Freundin oder Oma. Die Geburtshelferinnen und -helfer. Das Kind aber, das auf die Welt kommt, kann sich kein Bild davon machen, im Gedächtnis der Mutter verschwimmen diese Stunden. Dabei sind sie doch der Anfang von einfach allem!

Damit die Tochter sich später ein Bild machen kann

Barbara Rolf, die Frau auf den Fotos, wollte es anders machen. Sie hatte nie geplant, ein Kind zu bekommen, aber als sie schwanger wird, weißt sie bald, wie sie es zur Welt bringen will: zuhause, begleitet von einer Hebamme und der befreundeten Fotografin Franziska Molina. „Die Geburt war für mich vorher etwas Unvorstellbares. Ich wollte für mein Kind festhalten, wie es ist.“

Aber Barbara Rolf wollte es auch anderen Menschen zeigen. Die mächtigsten Ereignisse des Lebens blieben zu oft im Verborgenen. Das mache sie auch zu einem Tabu, sagt die 44-Jährige. Sie sieht eine Parallele zwischen Anfang und Ende des Lebens. Über beides werde zu wenig gesprochen, sagt Barbara Rolf. Sie muss es wissen, sie arbeitet als Bestatterin in Stuttgart. Sie will diese existenziellen Wegmarken sichtbarer machen. Deshalb hat sie schon mit einem Fotografen zusammengearbeitet, der Bilder von Verstorbenen und ihren Grabbeigaben im Sarg machte. Deshalb hat sie zugestimmt, dass Franziska Molina die rund 50 Fotos von Annas Geburt im Internet veröffentlicht. Nicht jeder versteht das. Ein paar ihrer Bekannten empfanden die Fotos als Zumutung.

Die Bilder erzählen die ganze Geschichte. Vom Warten, Atmen und Tönen in der Eröffnungsphase, wenn Hormone und Wehen den Gebärmutterhals zusammenschieben und den Muttermund zehn Zentimeter öffnen. Sie zeigen die Hebamme, die tastet, nachhört, Hände festhält und den Vater im Hintergrund. Sie zeigen die gewaltigen Schmerzen, das Ausgeliefertsein dem eigenen Körper. Dann dieses Glück und Erstaunen, wenn das Kind sich unter hämmernden Presswehen durch das Becken und den Geburtskanal geschraubt hat und der Rest des Körpers ins Leben flutscht. Das erste Zublinzeln von Mutter, Kind und Vater.

Der Alltag scheint nur kurz Pause zu machen

Mal sitzt Barbara Rolf auf der Treppe, den Kopf gesenkt, als höre sie zu dem Kind in ihr. Mal stemmt sie sich mit Wucht gegen einen der Holzpfeiler in ihrer Wohnung, drückt sich an ihren Partner Armando. Um sie in ihrer Wohnung stehen und liegen all die Dinge des Alltags, der nur kurz Pause zu machen scheint, um die neue Mitbewohnerin zu empfangen: die Couch, Kerzen, ein leer getrunkenes Glas, ein Strauß Sonnenblumen, ein Dominospiel, eine Göttinnenstatue. Auf dem Sessel liegt schon das Stillkissen bereit. Die Geburt ist das vielleicht normalste überhaupt. Auch das sagen diese Bilder.

Barbara Rolfs Gesicht wirkt mal entspannt, mal entrückt, mal scheint sie ganz bei sich. Und da, auf dem Schwarz-Weiß-Bild, das Gesicht verzerrt, den Mund weit aufgerissen, ist das nicht der Moment, in dem sie sagte: „Ich sterbe jetzt“?

Vier Jahre ist die Geburt jetzt her. Manchmal schauen sich Barbara Rolf und Anna die Bilder gemeinsam an. Und dann sagen beide „Das bin ja ich.“