AfD-Kandidat Tim Lochner übernimmt den Chefsessel im Rathaus von Pirna. Zur Städtefreundschaft mit Reutlingen hat er sich bislang nicht geäußert. Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Die Hochschulstadt pflegt seit 1990 eine Städtefreundschaft mit Pirna in Sachsen, wo nun zum ersten Mal in Deutschland ein AfD-Kandidat ins Rathaus einzieht. Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck (SPD) gerät unter Zugzwang.

Was viele schon lange befürchten, wird nun Realität: In Pirna übernimmt zum ersten Mal in Deutschland ein AfD-Kandidat den Posten des Oberbürgermeisters. Ende letzten Jahres eroberte Tim Lochner im zweiten Wahlgang das Rathaus der sächsischen Kreisstadt. 38,54 Prozent der Stimmen konnte der parteilose Tischlermeister auf sich vereinen. Im Rathaus der schwäbischen Stadt Reutlingen, die seit 1990 eine Städtefreundschaft mit Pirna pflegt, herrscht angesichts des Wahlergebnisses Ratlosigkeit.

Nach der Wiedervereinigung wurden zahlreiche Städtepartnerschaften zwischen Ost- und Westkommunen beziehungsweise Ost- und Westkreisen geschlossen, welche zur Unterstützung der ostdeutschen Kommunen und Kreise bei den Veränderungen in Politik und Wirtschaft dienen sollten. Zwischen Pirna und den Gemeinden Reutlingen und Remscheid in Nordrhein-Westfalen gibt es nach wie vor einen regelmäßigen Austausch, der nicht zuletzt dem Engagement des bisherigen Oberbürgermeisters von Pirna, Klaus-Peter Hanke (Freie Wähler), zu verdanken ist.

Amtsvorgänger lag Städtefreundschaft am Herzen

„Die Herzlichkeit und das freundschaftliche Verhältnis, das ich mit dem bald ausscheidenden Amtsinhaber habe, wird nach dem Amtswechsel leider vorbei sein“, bedauert Remscheids Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz (SPD) das Ausscheiden seines Amtskollegen, der aus Altersgründen auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatte. „Während der Amtszeit von Oberbürgermeister Hanke haben wir in Reutlingen deutlich gespürt, wie wichtig ihm die städtepartnerschaftlichen und städtefreundschaftlichen Kontakte Pirnas sind,“ schließt sich Dennis Koep, Sprecher der Stadt Reutlingen, dem Lob des Remscheider Oberbürgermeisters an.

2017 hat die Stadt Pirna den Erfahrungsaustausch „Kommunaler Klimaschutz“ initiiert, an dem auch Reutlingen und Remscheid teilnehmen. Im September 2022 fand in Pirna ein Gastspiel des Reutlinger Theaters „Die Tonne“ mit dem inklusiven Theaterstück „Hierbleiben - Spuren in Grafeneck“ statt. Die Theaterproduktion greift Fakten und Hintergründe der Geschichte Grafenecks während des NS-Regimes auf und bindet Biografien von Opfern ein. In Pirna wurde damit auch an die Menschen erinnert, die von den Nationalsozialisten in den Jahren 1940 und 1941 in der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet wurden. Auf der Bürgermeister- und Verwaltungsebene gab es im Jahr 2023 ein Treffen in Pirna, eines in Reutlingen.

Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck (SPD) hält sich bedeckt

Wie es mit den verschiedenen Kooperationsprojekten nun weitergeht, ist unklar. Eine Anfrage unserer Zeitung an Tim Lochner und die AfD-Fraktion im Stadtrat von Pirna blieb unbeantwortet. Auch Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck (SPD) hält sich bedeckt. Er wolle den Wählerwillen in seiner Partnerstadt nicht kommentieren, teilte er lediglich mit. Remscheids Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz zeigt hingegen klare Kante. Er sei zwar bestürzt über das Wahlergebnis, stelle die Partnerschaft aber nicht in Frage. Ihm geht es darum, jenen den Rücken zu stärken, die nicht für Lochner gestimmt haben. „Gerade jetzt ist es wichtig, gemeinsam alles dafür zu tun, dass verfassungsfeindliche Kräfte in unserem Land nicht die Oberhand gewinnen. Da können wir viel von unseren Freunden aus Pirna lernen, sie gleichzeitig aber auch unterstützen,“ sagt Mast-Weisz. Seinem zukünftigen Amtskollegen will er „professionell“ begegnen.

Auch Gabriele Janz, die die Grünen im Stadtrat von Reutlingen vertritt, macht sich dafür stark, den Kontakt zwischen Gemeinden aus Ost- und West nicht abreißen zu lassen. „Wir dürfen dieses Feld nicht den Rechten überlassen,“ sagt sie. Gleichzeitig sei eine klare Abgrenzung zur AfD notwendig. Janz bedauert, dass sich die Stadtverwaltung bisher nicht dazu geäußert habe, wie sie die Städtefreundschaft mit Pirna zukünftig gestalten wolle. Sie möchte Kontakt zu den demokratischen Fraktionen in Pirna aufnehmen, um diese zu unterstützen, aber auch um von ihren Erfahrungen zu profitieren. Es sei davon auszugehen, dass die AfD nach den kommenden Kommunalwahlen auch in Stadtrat von Reutlingen stärker vertreten sein werde.