Mit der geplanten Reform zur Kindergrundsicherung soll das gesamte Verfahren einfacher, transparenter und übersichtlicher werden. Foto: Imago/Christian Ohde

Die Hilfen des Staates für Kinder und Jugendliche sind komplex, der Weg zu ihnen wird durch bürokratische Hürden erschwert. Mit der Kindergrundsicherung soll eine Bündelung der Leistungen, mehr Übersicht und eine vereinfachte Beantragung erreicht werden. Eine Übersicht.

Bei der Kindergrundsicherung geht es um das Minimum an Mitteln, das Kinder benötigen, um materiell abgesichert zu sein und das ihnen gleichzeitig ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht – also etwa Kino, Sportverein oder Musikunterricht.

Dieses Existenzminimum wird auf Basis von Statistiken berechnet. Daran sind dann etwa Bürgergeldsätze und andere staatliche Leistungen ausgerichtet. Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampel vorgenommen, das soziokulturelle Existenzminimum neu zu definieren.

Warum kommt die Kindergrundsicherung?

Arbeitslosigkeit sowie ein niedriges Einkommen der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten sind die entscheidenden Gründe, dass Kinder in Deutschland unter Armut und sozialer Benachteiligung leiden müssen. Der Staat entlastet einkommensschwache Familien finanziell mit dem sogenannten Familienleistungsausgleich.

Das Problem bisher war: Unter den Familienleistungsausgleich fallen gleich mehrere sozialstaatliche Maßnahmen, die auf unterschiedlichen Wegen bei verschiedenen Behörden beantragt werden müssen. Der bürokratische Aufwand für die Betroffenen führt dazu, dass bis zu 70 Prozent der Familien ihre Ansprüche auf bestimmte Leistungen nicht geltend machen.

Mit der geplanten Reform zur Kindergrundsicherung soll das gesamte Verfahren einfacher, transparenter und übersichtlicher werden.

Was beinhaltet die Kindergrundsicherung?

Die Kindergrundsicherung soll ab dem Jahr 2025 sehr unterschiedliche staatliche Leistungen wie Kindergeld und Kinderfreibetrag, den Kinderzuschlag, Teile des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets sowie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch bündeln.

Der neu geplante Entlastungsausgleich für benachteiligte Familien soll zukünftig aus zwei Teilen bestehen:

• einem fixen Grundbetrag – dem sogenannten Kindergarantiebetrag

• einem flexiblen Zusatzbetrag – dem sogenannten Kinderzusatzbetrag

Wie hoch ist die Kindergrundsicherung?

Die Grundsicherung soll mindestens dem heutigen Kindergeld entsprechen. Das sind aktuell 250 Euro pro Kind im Monat. Dieser Betrag soll dann alle zwei Jahre angepasst werden. Grundlage hierfür ist der Existenzminimumbericht der Bundesregierung.

Der Grundbetrag ist als Garantiebetrag gedacht und wird nicht mit Sozialleistungen wie etwa dem Bürgergeld der Eltern verrechnet. Jedes Kind bekommt also mindestens 250 Euro monatlich.

Die zweite Komponente, der Kinderzusatzbetrag ist abhängig vom jeweiligen Einkommen der Eltern. Wer ein geringes Einkommen hat, soll mehr finanzielle Unterstützung vom Staat bekommen. Neben einer Pauschale für Bildung und Teilhabe (derzeit 15 Euro) beinhaltet der Zusatzbetrag auch eine Kinderwohnkostenpauschale (derzeit 150 Euro).

Steigt das familiäre Einkommen, wird der Kinderzusatzbetrag entsprechend kleiner. Im Eckpunktepapier des Bundesfamilienministeriums heißt es dazu: „Der Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung sinkt, bis ab Überschreiten einer noch zu definierenden Einkommenshöhe kein Anspruch mehr besteht.“

Welche Kinder und Jugendliche bekommen die Grundsicherung?

• Wie das Kindergeld sollen die Kindergrundsicherung alle Kinder ab der Geburt bis zum Alter von 18 Jahren erhalten.

• Wer eine Ausbildung absolviert, soll die Kindergrundsicherung bis zum 25. Geburtstag bekommen.

• Studierende werden bis zum 27. Lebensjahr unterstützt.

Eine eigens zu gründende Kindergrundsicherungsstelle soll auf die Daten von Berufs- oder Hochschulen zugreifen können. Volljährige Kinder, die nicht mehr im Haushalt ihrer Eltern leben, sollen den Betrag direkt erhalten.

Wie viele Kinder werden unterstützt?

Rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche wachsen in Armut auf – 21,3 Prozent aller unter 18-Jährigen, wie die Bertelsmann Stiftung Mitte Juli berichtet hat. „Seit Jahren ist der Kampf gegen Kinderarmut eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland.“

Mehr als jeder fünfte Heranwachsende sei betroffen – mit regional starken Unterschieden. Nach Bundesländern werden in den Stadtstaaten Bremen und Berlin besonders viele Kinder und Jugendliche in finanziell schwachen Verhältnissen groß. In Bayern und Baden-Württemberg sieht es für sie im Vergleich am besten aus.

Wie wird die Kindergrundsicherung künftig beantragt?

Das bisherige Verfahren soll vereinfacht werden. Künftig soll es nur noch eine Anlaufstelle für alle Kinderleistungen geben. Zuständig ist dann der Familienservice der Bundesagentur für Arbeit. Schon heute kümmern sich die Familienkassen der Arbeitsagenturen um die Auszahlung des Kindergelds.

Ist eine Beantragung online möglich?

Sie ist nicht nur möglich, sondern auch erwünscht. Für die Beantragung der ab 2025 geplanten Kindergrundsicherung sollen Familien von Anfang an auf Amtsgänge oder Gänge zum Briefkasten verzichten können. Mit der Kindergrundsicherungsstelle soll ein neues Portal entstehen, auf dem die Leistung möglichst einfach online beantragt werden kann.

So ist geplant, dass Eltern zukünftig keine Einkommensnachweise mehr erbringen müssen. Stattdessen soll die Kindergrundsicherungsstelle Informationen direkt vom Finanzamt bekommen. Bereits mit dem Inkrafttreten des Gesetzes soll „eine vollständige digitale Abwicklung“ möglich sein, wie aus dem Gesetzentwurf des Bundesfamilienministeriums zur Kindergrundsicherung hervorgeht.

„Alle Arbeitsschritte“ sollen elektronisch und online möglich sein. Wer keine digitalen Zugänge hat, soll Anträge aber auch weiterhin analog stellen können.

Warum braucht Deutschland eine Kindergrundsicherung?

Deutschland hat nach Aussage von Experten ein strukturelles Problem mit Kinderarmut. Nach einer Analyse der Bertelsmann-Stiftung ist mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht – 2021 waren das rund 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche. Sie gelten nach der gängigen Definition als armutsgefährdet, wenn ihre Familie über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verfügt.

Von Armut besonders betroffen sind demnach Alleinerziehende sowie Familien mit drei oder mehr Kindern. Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, heißt es in der Studie weiter, leide täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und habe deutlich schlechtere Zukunftschancen. Das erklärte Ziel der Kindergrundsicherung ist es, die Lage von ärmeren Familien deutlich zu verbessern.

Info: Armut in Deutschland

Armut
In Deutschland waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) in Wiesbaden im vergangenen Jahr rund 17,3 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Das entsprach etwa einem Fünftel (20,9 Prozent) der Bevölkerung. Im Vorjahresvergleich blieben die Zahlen nahezu unverändert. So lag der Anteil im Jahr 2021 bei 21 Prozent. Die Statistiker bezogen sich bei ihren Daten auf erste Ergebnisse der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC).

Armutskriterien
Laut den Angaben gilt ein Mensch in der EU als von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Bedingungen zutrifft: • Das Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze. • · Der Haushalt ist von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen. • Die Person lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.

Armutsgefährdungsquote
Die sogenannte Armutsgefährdungsquote gibt den Anteil derjenigen an, deren verfügbares Einkommen unter Einbeziehung möglicher Sozialleistungen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung liegt. 2022 lag dieser Wert beispielsweise für Alleinlebende hierzulande bei 1250 Euro netto im Monat. Konkret waren 2022 etwa 12,2 Millionen Menschen (14,7 Prozent) armutsgefährdet. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 hatte die Armutsgefährdungsquote 16 Prozent betragen.

Grade von Armut
• Erhebliche materielle und soziale Entbehrung: Den Daten zufolge waren 5,1 Millionen Menschen (6,1 Prozent) 2023 von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen (2021: 4,3 Prozent). „Das bedeutet, dass ihre Lebensbedingungen aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln deutlich eingeschränkt waren“, erklären die Destatis-Statistiker. So seien sie beispielsweise nicht in der Lage, Rechnungen für Miete oder Hypotheken zu zahlen, eine Woche in den Urlaub zu fahren, abgewohnte Möbel zu ersetzen oder einmal im Monat im Freundeskreis oder mit der Familie etwas essen oder trinken zu gehen. • Sehr niedrige Erwerbsbeteiligung: Etwa 9,7 Prozent der Bevölkerung unter 65 Jahren oder 6,1 Millionen Menschen in Deutschland lebten 2022 in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung (2021: 9,5 Prozent). „Das heißt, die Haushaltsmitglieder waren insgesamt sehr wenig oder nicht in den Arbeitsmarkt eingebunden“, heißt es seitens Destatis.