Mehr sehen, besser und schneller diagnostizieren: Ein neues Gerät eröffnet den Rems-Murr-Kliniken bessere Therapiemöglichkeiten bei Schlaganfall oder Gefäßerkrankungen. Die Ärzte sprechen von einem „Riesenschritt nach vorn für die Schlaganfallversorgung“.
Time is brain – je schneller ein Patient mit einem Schlaganfall behandelt wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine bleibenden Schäden zurückbleiben. Die Voraussetzung dafür ist nicht nur, dass der Betroffene so schnell wie möglich zu einem Spezialisten gebracht wird, sondern auch, dass dieser rasch erkennt, worauf genau der Ausfall der Gehirnfunktion zurückzuführen ist.
Inspektion von Gefäßen in 3D
Im Rems-Murr-Klinikum in Winnenden ist jetzt ein Diagnosegerät in Betrieb gegangen, das die Ärzte in die Lage versetzt, präzise das Innere von Gehirngefäßen zu inspizieren – und das sogar in dreidimensionaler Darstellung. Die sogenannte biplane Angiografie mache nicht nur schnellere Diagnosen, sondern auch die rasche und schonende Behandlung von komplizierten Gefäßerkrankungen wie Aneurysmen oder Durchblutungsstörungen möglich, heißt es.
„Bei einer Angiografie spritzen wir ein Kontrastmittel ins Gefäß und können radiologisch erkennen, wie sich der Blutfluss verändert oder stockt“, erklärt Prof. Ulrich Kramer, Chefarzt der Radiologie in Winnenden. Ein weiterer Vorteil sei, dass man nicht nur diagnostizieren, sondern über einen Katheter auch direkt im Gefäß intervenieren, also behandeln könne. Mit der neuen biplanen Angiografie ließen sich die Gefäße nun dank einer zweiten Bildgebungsebene sogar dreidimensional darstellen. „Wir wissen also immer genau und sehen sofort, wo wir mit dem Katheter gerade im Gefäß unterwegs sind“, sagt Kramer. Das biete nicht nur mehr Sicherheit und Schnelligkeit, man spare auch etwa die Hälfte an Kontrastmittel und Strahlendosis ein.
Kooperation mit dem Klinikum Stuttgart
Mit der biplanen Angiografie-Anlage und der interventionellen Neuroradiologie mache die Klinik einen Riesenschritt nach vorne für die Schlaganfallversorgung im Rems-Murr-Kreis, sagt Prof. Ludwig Niehaus, Chefarzt der Neurologie. Während man bisher Gefäßgerinnsel nur mit Medikamenten habe auflösen können, lasse sich nun das verschlossene Gefäß auch mittels eines Katheters wiedereröffnen. Jeden Schritt der Intervention könne man nun parallel am Monitor kontrollieren.
Unterstützt wird das Winnender Team durch eine neue Kooperation mit der Neuroradiologie am Klinikum Stuttgart: Oberarzt Dr. Philipp von Gottberg aus dem Stuttgarter Team des Ärztlichen Direktors und der Thrombektomie-Experte Prof. Hans Henkes brächten in Winnenden ihre Expertise ein, sodass auch komplexere Interventionen möglich seien, heißt es in einer Mitteilung der Rems-Murr-Kliniken. Darin wird die Neuroradiologie des Klinikums Stuttgart als eine der „führenden im deutschsprachigen Raum“ bezeichnet. Auch Prof. Jan Steffen Jürgensen ist offenkundig von der Sinnhaftigkeit der Zusammenarbeit überzeugt: „Diese Kooperation stärkt die wohnortnahe, schnelle und vor allem qualitativ hochwertige Erstversorgung von Schlaganfallpatienten. Dass Krankenhäuser zusammenarbeiten, um gemeinsam komplexere Krankheiten zu versorgen, ist ein Zukunftsmodell und eine gute Nachricht für die Versorgungssicherheit und -qualität in der Region“, wird der medizinische Vorstand des Klinikums Stuttgart in der Mitteilung zitiert.
Neue Behandlungsmöglichkeiten auch für andere Bereiche
Der Winnender Radiologie-Chefarzt Prof. Ulrich Kramer schaut derweil schon in die nahe Zukunft. Man sei jetzt erst einmal mit den sogenannten neurovaskulären Interventionen gestartet, also in den Blutgefäßen des Gehirns. Mit der biplanen Angiografie könne man aber auch sogenannte minimalinvasive Interventionen für andere medizinischen Bereiche im Haus unter einem Dach anbieten. So ließen sich zum Beispiel in der Krebstherapie mittels interventioneller Radiologie über ein Blutgefäß Chemotherapeutika direkt in einen Tumor einbringen, sagt Kramer. „Interdisziplinär eröffnet uns die biplane Angiografie damit diverse neue Behandlungsmöglichkeiten, und wir möchten diese neuen Chancen der interventionellen Radiologie zusammen mit den jeweiligen Fachkliniken Stück für Stück nutzen.“