Die medizinische Versorgung nach einem Schlaganfall klappt meist gut, doch danach klafft oft eine betreuerische Lücke. Foto: dpa/Stephan Jansen

Ein Pilotprojekt im Rems-Murr-Kreis soll dazu beitragen, eine Versorgungslücke nach einer lebensverändernden Erkrankung zu schließen. 16 frisch ausgebildete Helfer stehen jetzt dafür bereit.

Ein vorübergehender Aussetzer im Gehirn kann das weitere Leben von einer Sekunde auf die andere sprichwörtlich auf den Kopf stellen. Nach dem Krankenhaus-Aufenthalt gilt es oft, sich unter völlig neuen Bedingungen in seinem gewohnten Umfeld zurechtzufinden.

Vom Krankenhaus in die vorzeitige Rente

Walter Wahl weiß das aus eigener Erfahrung. Vor zehn Jahren hat den heute 66-Jährigen aus heiterem Himmel ein Schlaganfall getroffen und seine bisherigen Gewohnheiten und Fähigkeiten urplötzlich in Frage gestellt. „Ich hatte das Glück, ein tolles Umfeld zu haben, das mich aufgefangen hat. Doch ein solches hat nicht jeder“, sagt der Mann, den der plötzlich aufgetretene Gefäßverschluss aus dem Arbeitsleben gerissen und in die Frührente gezwungen hatte.

Ehrenamtliche Helfer wie Birgit Danielzik, Margit Kraubmann, Walter Wahl oder Arite Tretter sollen einem Schlaganfall-Patienten nach dessen Entlassung aus der Klinik beiseite stehen. Foto: Jan Potente

Wahl hat sich deshalb jetzt zusammen mit 15 weiteren Freiwilligen aus dem Rems-Murr-Kreis zum ehrenamtlichen Schlaganfall-Helfer ausbilden lassen. Es sind die ersten in ganz Baden-Württemberg.

Darauf ist der Initiator, Professor Ludwig Niehaus, Chefarzt der Neurologie am Winnender Rems-Murr-Klinikum und Regionalbeauftragter der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, natürlich stolz, zumal Konzeption und Durchführung des Ganzen innerhalb von nur wenigen Monate realisiert wurden. Doch wichtig ist ihm auch, dass es sich dabei um ein gelungenes Gemeinschaftsprojekt handelt. Beteiligt ist neben der bundesweit agierenden Stiftung und den Rems-Murr-Kliniken auch der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).

Praxisnah auf die Aufgabe vorbereitet

In einer 40-stündigen Schulungsreihe sind die Teilnehmer auf ihre Aufgabe, Schlaganfall-Patienten und ihre Angehörigen individuell in ihrem Lebensalltag zu begleiten und zu unterstützen, vorbereitet worden. Ärzte, Vertreter eines ambulanten Therapiezentrums, des Landratsamtes, des DRK, der Krankenkasse AOK, der Schlaganfall-Selbsthilfegruppe Rems-Murr sowie eine Logopädin haben die Ehrenamtlichen umfassend über verschiedenste Aspekte der Schlaganfall-Hilfe informiert und praxisnah für ihre Aufgabe aufgeklärt.

Da die ehrenamtlichen Unterstützer mit den Versorgungsstrukturen vor Ort gut vertraut gemacht worden seien, könnten sie schnell und effektiv bei Herausforderungen im Alltag helfen, sagt Karin Gericke, Referentin für Wohlfahrts- und Sozialarbeit beim DRK Rems-Murr: „Sie helfen bei Behördengängen, beraten zu Sozialleistungen, vermitteln Kontakte und stehen bereit, wenn Betroffene und Angehörige einfach mal Zuspruch und Motivation benötigen“, umreißt sie deren Tätigkeitsfeld. Kurz: „Sie motivieren, helfen und leisten Gesellschaft“, so Gericke. Pflegerische, hauswirtschaftliche oder therapeutische Leistungen sollen hingegen nicht erbracht werden. Chefarzt Niehaus ist überzeugt: Das System aus Vorbeugung, Akutbehandlung und Nachsorge werde durch die Schlaganfall-Helfer nun nachhaltig gestärkt.

Unterschiedliche Motivation und Talente

Die landesweit ersten ihrer Art, die jetzt in einer kleinen Feierstunde im Winnender Rems-Murr-Klinikum ihre Zertifikate erhalten haben, sind aus ganz verschiedenen Gründen motiviert und mit unterschiedlichen Talenten ausgestattet: Birgit Danielzik (51) etwa ist einerseits überzeugt, ihre berufliche Erfahrung bei einer Versicherung insbesondere beim Thema „Anträge und Kleingedrucktes“ gut einbringen zu können. Andererseits fühlt sie sich in ihrem Job in ihrer Verantwortung als Gruppenleiterin durch ihr neu erworbenes Wissen nun selbst ein Stück weit gestärkt und auf eine sich etwaig ergebende Situation vorbereitet.

Margit Kraubmann (63) hingegen hat in ihrem Freundeskreis bereits miterlebt, „wie eine Familie ins Rotieren geraten kann, wenn die gewohnten Strukturen auseinanderbrechen“. Als gelernte Sozialpädagogin wolle sie nun im Ruhestand in einem zeitlich flexiblen Ehrenamt vor allem für jene da sein, die nicht über ein größeres soziales Auffangbecken verfügen könnten.

Arite Tretter (39), die ihren Job im Jugendamt zugunsten einer Aufgabe im Finanzbereich des Landratsamts aufgegeben hat, will sich ihre Tätigkeit im beratenden Bereich ein Stück weit im Ehrenamt erhalten. Auch ihr war wichtig, dass sie dabei zeitlich flexibel agieren kann – schließlich ist sie als Mutter zweier Kinder auch familiär nicht unerheblich gefordert.

Passgenau an Betroffene vermittelt

Wie ihre Aufgabe genau aussehen wird, soll sich in den kommenden Wochen herausstellen. Das Rote Kreuz betreut und unterstützt die Schlaganfall-Helfer und vermittelt ihre Dienste zwar passgenau an Betroffene. Doch weil es sich bei dem Angebot um ein Pilotprojekt handelt, muss sich die Nachfrage erst noch einspielen. Wer selbst oder in seinem Umfeld Bedarf an einem Schlaganfall-Helfer hat, darf sich gerne an Karin Gericke wenden.

Wo erhält man Hilfe?

Schlaganfall
 Etwa 270 000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen Schlaganfall. Heruntergerechnet sind das 1300 bis 1400 im Rems-Murr-Kreis. Etwa eine Million Menschen müssen bundesweit aktuell mit zum Teil erheblichen Einschränkungen durch die Folgen eines meist durch eine mangelnde Durchblutung zwischenzeitlich „schlagartig“ aufgetretenen Ausfalls von Gehirnfunktionen klarkommen.

Unterstützung
 Für eine Betreuung nach der medizinischen Behandlung stehen neuerdings 16 zertifizierte Schlaganfall-Helfer aus weiten Teilen des Rems-Murr-Kreises bereit. Fragen zu dem ehrenamtlichen, kostenlosen Angebot beantwortet die DRK-Referentin Karin Gericke: telefonisch unter 0 71 91/95 36 91 oder per mail an karin.gericke@drk-rems-murr.de.