Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg signalisiert den Beginn einer Sitzung des Nordatlantikrats während des Nato-Gipfels in Vilnius. Foto: dpa/Mindaugas Kulbis

Der Westen muss Putins Wahn Einhalt gebieten. Dazu gehört, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, meint unser Korrespondent Knut Krohn.

Die bittere Wahrheit ist: Wladimir Putin hält sich nicht an Verträge. Mehr als einmal hat der russische Präsident in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er seinen eignen, aggressiven imperialen Plänen folgt. Der Überfall auf die Ukraine lieferte dafür den ultimativen Beweis. Die Diskussionen beim Nato-Gipfel im litauischen Vilnius zeigen, dass der Westen endlich die richtigen Lehren gezogen hat. Längst steht außer Frage, dass die Ukraine nach dem Ende des Krieges militärisch in den Zustand versetzt werden muss, dass Russland in Zukunft absolut keine Lust mehr verspürt, das Land anzugreifen. Auch ist es im allergrößten Interesse des Westens, im Osten des Kontinents wieder eine stabile Friedensordnung aufzubauen.

Nun hat US-Präsident Joe Biden eine Art Israel-Lösung für die Ukraine vorgeschlagen. Die USA wollen zusammen mit anderen Verbündeten innerhalb eines multilateralen Rahmens bilaterale Sicherheitsverpflichtungen mit der Ukraine aushandeln. Das Problem: Im Fall von Israel funktioniert dieses Vorgehen, weil das Land bis an die Zähne bewaffnet ist und sich gegen die ständige Bedrohung durch die Nachbarn wehren kann – inklusive des Besitzes von Atombomben. Einen solchen Zustand der ständigen Instabilität kann aber Europa nicht anstreben, auch weil Kiew jedes Jahr mit Milliardensummen für Waffen und Ausrüstung versorgt werden müsste.

Nato-Ukraine-Rat kommt erstmals zusammen

Das bedeutet: Sicherheit für die Ukraine und auch für Europa kann es auf Dauer nur geben, wenn Kiew in das westliche Verteidigungsbündnis integriert wird. Der erste Schritt dazu ist schon getan. In Vilnius wird der neu eingerichtete Nato-Ukraine-Rat zum ersten Mal zusammenkommen. In diesem Gremium wird nicht nur die konkrete Unterstützung Kiews im Kampf gegen die russischen Invasoren abgestimmt, sondern auch der lange und reformenreiche Weg in Richtung Beitritt sondiert. Zur großen Überraschung wirbt nun sogar der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan für einen Beitritt der Ukraine zur Nato. Dieser Vorstoß ist aber mit Vorsicht zu genießen, da der launische Despot vom Bosporus schnell seine Meinung ändern kann. Das zeigt seine plötzliche Zustimmung zur Aufnahme Schwedens in die Allianz. Für ihn ist die Nato allenfalls Mittel zum Zweck für seine Machtspielchen, eine verlässliche Partnerschaft sieht anders aus.

Wesentlich wichtiger als das türkische Verwirrspiel ist für die Europäer allerdings die Zurückhaltung der USA in Sachen Nato-Beitritt der Ukraine. Darin zeigt sich eine geostrategische Entwicklung, denn Washington hat sich nicht nur politisch, sondern auch militärisch längst dem Pazifikraum zugewandt. Das bedeutet, dass sich Europa in Zukunft nicht mehr darauf verlassen kann, dass die USA Gewehr bei Fuß stehen, wenn es brenzlig wird. Der Kontinent wird selbst für seine Sicherheit sorgen müssen.

Zwei Prozent für die Verteidigung

Dann genügt es auch nicht mehr, über rechnerische Taschenspielertricks, die Verteidigungsausgaben hochzuschrauben. Deshalb ist es gut, dass sich die 31 Bündnismitglieder in Vilnius darauf einigen werden, künftig mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandproduktes für Verteidigung auszugeben. Zugleich müssen die notwendigen Verteidigungskapazitäten aufgebaut werden. Ziel wird es dann auch sein, die seit Jahren diskutierte Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten in diesem Bereich endlich umzusetzen.

Europa hat über Jahrzehnte von der Friedensdividende profitiert. Russlands Präsident Wladimir Putin hat diese Ordnung in seinem imperialen Wahn zerstört. Der Westen muss darauf reagieren, wollen die Menschen in der EU weiter in einem freien und demokratischen System leben.