Spaß für tausende Zuschauer: In Schramberg wird es am Fasnachtsmontag feuchtfröhlich. Foto: dpa/Patrick Seeger

Viele glauben, Narrensprünge und Umzüge seien die Königsdisziplin der schwäbisch-alemannischen Fasnacht. Dabei gibt es ziemlich verrückte Bräuche im Südwesten.

Die Fasnacht im Südwesten steuert auf ihre heiße Phase zu. Dann locken wieder zahlreiche Umzüge und Narrensprünge zum Zuschauen. Doch die schwäbisch-alemannische Fasnacht hat noch viel mehr zu bieten. In vielen Orten gibt es teils uralte Bräuche, manche sind lustig, andere einfach nur schön und wieder andere ziemlich verrückt. Und wenn es an Fasnacht feuchtfröhlich wird, dann muss das nicht unbedingt mit Alkohol zu tun haben.

Im Nachthemd Lehrer necken

Hemdglonker, also weiß gekleidete Narren mit Zipfelmütze, gibt es in vielen Orten vom Bodensee bis zum Schwarzwald und sogar im Raum Stuttgart. Erfunden wurde der Brauch in Konstanz, wo Internatsschüler sich im 19. Jahrhundert aus ihren Betten geschlichen haben sollen, um Fasnacht zu feiern. Noch heute ist es eine Veranstaltung der Schüler. Beim stimmungsvollen Umzug in der Niederburg am Abend des Schmotzige werden die Lehrer in Karikaturen auf beleuchteten Transparenten zum Gespött gemacht: „Von Herrn Wurst kann man sich ruhig eine Scheibe abschneiden.“ Oder: „Macht Herr Zuber einen Witz, haut’s uns alle aus dem Sitz.“ Und wie es über den Religionslehrer hieß: „Der Kopf wird rot, die Stimme steigt, wenn Wein den rechten Weg uns zeigt.“

Kretschmann schätzt die inneren Werte

Spätestens seit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zum Froschkuttelnessen geht, ist die Veranstaltung der Riedlinger Narrenzunft kein Geheimtipp mehr. Am Morgen des Fasnachtsdienstag ziehen die Männer im Gänsemarsch zum Gasthaus Mohren und verspeisen dort Innereien – die übrigens nicht von Fröschen, sondern von Rindern stammen. Die Frauen haben es derweil bei einem ähnlichen Programm im Hirschen lustig. Anschließend gibt es ein glückliches Wiedersehen auf dem Marktplatz, wobei die Männer den Mohren über eine Rutsche aus dem ersten Stock verlassen müssen. Den normalen Ausgang haben die Frauen verrammelt.

Die Häser bleiben im Schrank

In Markdorf gibt es Umzüge, ein Narrenbaumstellen, den Rathaussturm und natürlich das Dreckkübelg‘schwätz, bei dem am Fasnachtsdienstag den Honoratioren des Ortes die Leviten gelesen werden. Am schönsten ist aber eigentlich der Fasnachtsmentig. Dann wird „Markdorf ganz verruckt“. Die historischen Häser und Larven bleiben im Schrank, stattdessen sucht sich jeder im Familien- oder Freundeskreis sein eigenes Motto und es gibt eine fröhliche Straßenfasnacht für alle.

Der heiße Ritt der Hexen

Eine der spektakulärsten Verbrennungen zum Ende der närrischen Zeit ist diejenige in Offenburg am Fasents(!)dienstag. Die Strohhexe ist über fünf Meter groß und mit Raketen bestückt. Während die Flammen lodern, zelebrieren die Hexen ihren Hexentanz. Schließlich schwingen sie sich zum Hexensprung an ihren Besen über die Glut – ein beeindruckendes Schauspiel. Anschließend wird in den Kellern die Fasnacht feuchtfröhlich und unter Wehklagen endgültig beerdigt.

Ehrenrunde für Pantoffelhelden

Glücklich unter der Haube oder besser: dem Pantoffel? In Sigmaringen werden solche Helden beim Bräuteln von örtlichen Junggesellen am Fasnachtsdienstag, 10 Uhr, auf einer Stange um den Rathausbrunnen getragen. Neben den Frischverheirateten dürfen auch Ehejubilare mitmachen und Brezeln, Würstle und anderes ins Volk werfen. Die Frauen sitzen derweil auf dem Rathausbalkon und verfolgen das Schauspiel. „Wir haben diesmal auch diamantene und eiserne Hochzeiten dabei“, sagt der Narrenrat Joachim Wolf. Mindestens 300 Jahre alt ist der Brauch und er soll auf eine Zeit nach dem 30-jährigen Krieg zurückgehen, als jeder, der sich noch zu heiraten traute, groß gefeiert wurde.

Belohnung für Schreihälse

Am Fasnachtssonntag versammeln sich Hunderte von Kindern in der Saulgauer Innenstadt und schreien, was das Zeug hält: „Doraus, Detnaus, bei dr alta Linde naus.“ Aus den Häusern prasseln dann die Süßigkeiten. Bei den Küblern in Bad Cannstatt gibt es einen ähnlichen Brauch, in Saulgau reicht er aber bis ins Jahr 1355 zurück, als dort eine Pestepidemie ausgebrochen war und die Kranken auf diese Weise versorgt wurden, wie es heißt. Vier Stunden dauert das Dorausschreien. Es geht vom Gasthaus Hasen bis zum Gasthaus Linde, oder wie man heute sagen würde: vom Griechen bis zum Italiener.

Der Burggraf spricht die Masken frei

Wenn am Mittwochabend vor dem Gumbige in Aulendorf am Hexeneck im Feuerschein die einzelnen Masken der örtlichen Fasnet vom Maskenmeister im Auftrag des Burggrafs freigesprochen werden, dann läuft es selbst Zunftmeister Florian Angele „kalt den Buckel nab“, wie er zugibt. Mit ihren mystischen Sprüchen und der schummrigen Beleuchtung ist die Aulendorfer Maskenbeschwörung eine der urigsten und geheimnisvollsten Bräuche der schwäbisch-alemannischen Fasnacht.

Da fallen die Löcher aus dem Käse

Hier geht sie los, die Polonaise. In einer ganz eigenen Choreografie und unter der Anleitung von zwei Husaren jucken in Schömberg (Zollernalbkreis – nicht zu verwechseln mit dem Ort gleichen Namens im Kreis Calw) bis zu 600 farbenfrohe Fransennarren und weiße Fuchswadel zur Bolanes über den Marktplatz. Ein Schmied hat die Polonaise um 1900 aus Frankreich mitgebracht, wo er auf der Walz gewesen war. Der Brauch ist ein Alleinstellungsmerkmal der Schömberger Fasnet und wird auch nicht auswärts aufgeführt, in Schömberg aber dreimal: am Fasnetsonntag, -medig und -zeischdig. „Für jeden Schömberger ist das ein absolutes Muss“, sagt der Säckelmeister Jörg Niethammer. Dazu spielt die Stadtkapelle den Narrenmarsch – und nur den. Bis zu 200 Mal müssen sie ihn an den drei Tagen intonieren.

Wecken für Vollprofis

Narren sind Frühaufsteher. Auf der Reichenau wird das nicht dem Zufall überlassen. Dort baut die Jugend Weckerwagen, die am Schmotzige von 6 Uhr an laut lärmend über die Insel rollen und zwischendurch die Weckerbeizen anfahren. Schon die Kleinsten bringen Leiterwagen in Form, bei den Älteren werden die Konstruktionen immer größer und aufwendiger. 40 Gruppen erwartet der Betriebsleiter Ralf Wehrle am Donnerstagmorgen zur Weckerwagenparade, die in diesem Jahr natürlich unter dem Motto des 1300-jährigen Klosterinseljubiläums steht. „Wir knüpfen ein Band“, heißt der offizielle Feierslogan. „Wir knüpfen einen Narrenbändel“, sagen die Narren. Der Narrenverein wird übrigens 130 Jahre alt. „Zumindest zehn Prozent der Inselgeschichte waren also lustig“, sagt Wehrle.

Wo die Fasnacht den Bach runter geht

Die spektakulärste, irrste, aber auch bekannteste Veranstaltung findet alljährlich am Fasnetsmontag in Schramberg statt, wenn sich 40 Teams in selbst umgebauten Brühzubern den Bach na stürzen. 1936 wurde dieser Brauch zum ersten Mal begangen, seit 1955 ist er jährlich im Programm. In diesem Jahr stehen 16 Erstlingspiloten auf der Starterliste. Es geht um 60 Jahre Dinner for One, 100 Jahre Mickey Mouse und 275 Jahre Goethe. Und zwei Teams wollen mit ihren Booten Ikea würdigen. Ob sie die Teile rechtzeitig zusammengebaut und bekommen und ob sie den reißenden Fluten Stand halten, muss sich zeigen. Noch wird in der Fahrzeughalle des alten Krankenhauses, wo die meisten Teams untergekommen sind, fleißig gebaut, die Berneck führt ordentlich Wasser, sodass es einem Spektakel nichts im Wege steht.