Mit dem neuen Gesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Foto: Saifurahman Safi/Xinhua/dpa

Das geplante EU-Lieferkettengesetz hat eine wichtige Hürde genommen, trotz Widerstands in der Bundesregierung. Die Lobbyschlacht um das Vorhaben wird wohl jetzt im Europaparlament fortgesetzt.

Brüssel - Lange wurde gerungen, jetzt steht eine Mehrheit unter den EU-Staaten für ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz. Mit dem Vorhaben sollen Menschenrechte weltweit gestärkt werden, wie die belgische EU-Ratspräsidentschaft am Freitag mitteilte. Deutschland hat sich wegen Uneinigkeit in der Bundesregierung bei der Abstimmung im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten enthalten - wie öfters bei wichtigen EU-Gesetzen. Die Bundesregierung steht immer wieder in der Kritik, keine klare Position zu EU-Vorhaben zu haben, weshalb wie im Fall des Lieferkettengesetzes Mehrheiten ohne Deutschland gefunden werden, was die Verhandlungsposition der Bundesrepublik schwächt.     

In Berlin drängte die FDP darauf, dass Deutschland nicht zustimmt, denn die Liberalen befürchten, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen. Politiker von SPD und Grünen befürworten das Vorhaben hingegen. Die Unstimmigkeiten hatten zu einem offenen Schlagabtausch in der Ampel-Koalition geführt. Entsprechend zeigte sich Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) nach der Entscheidung erfreut. "Endlich hat das EU-Lieferkettengesetz nach langer Zitterpartie diese Hürde genommen", teilte die Ministerin am Freitag in Berlin mit. Auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Yasmin Fahimi, begrüßte die Einigung. 

"Wir hätten uns eine bürokratieärmere und praxistaugliche Lieferkettenrichtlinie gewünscht", sagte der FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, kündigte an: "Nach der Europawahl werden wir eine neue Debatte über die Lieferkettenrichtlinie anstoßen." Dass es keine ausreichende Mehrheit gegen den "Bürokratie-Wahn" gegeben habe, heiße, man werde weiter für wirtschaftlichen Erfolg kämpfen. 

EU-Parlament muss noch zustimmen

Eine weitere Hürde muss das Gesetz noch nehmen, da das EU-Parlament dem Vorhaben zustimmen muss. Hier gilt eine Mehrheit als wahrscheinlich. Jedoch dürften Gegner des Vorhabens nun versuchen, diese Mehrheit zu kippen. So riefen bereits kurz nach der Abstimmung erste Wirtschaftsverbände die Abgeordneten des Europaparlaments öffentlich dazu auf, das Gesetz abzulehnen. Sie befürchten etwa hohen Aufwand durch Bürokratie, Wettbewerbsnachteile und Rechtsunsicherheiten. Formell muss das Vorhaben auch noch von den zuständigen Fachministern der EU-Staaten abgesegnet werden, nach der nun gefundenen Einigung ist das aber Formsache. 

Der Einigung unter den EU-Staaten ging ein wochenlanges Gezerre voraus. Eigentlich hatten sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten bereits im Dezember auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Im Grundsatz dient das Vorhaben dazu, dass große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Doch der Kompromiss fand zunächst keine Mehrheit und so wurde das Gesetz abgeschwächt. 

Statt wie ursprünglich geplant, soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten. Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben - nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. An diesen Geltungsbereich soll sich stufenweise herangetastet werden. Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz. 

Risikosektoren gestrichen

Zudem wurden demnach sogenannte Risikosektoren gestrichen, also Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher bewertet wird, wie etwa in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie. Dort hätten auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden betroffen sein können.

Vorgesehen ist aber weiterhin, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren, wodurch die EU-Version auch über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgeht. Denn im deutschen Gesetz ist ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind. Den Angaben des Europaabgeordneten Axel Voss zufolge sind wegen des abgeschwächten Geltungsbereichs weniger Unternehmen durch das EU-Lieferkettengesetz betroffen als durch das deutsche. Insgesamt gelte das Gesetz für etwa 5000 Unternehmen in der ganzen EU. 

Aus dem EU-Parlament gibt es dabei vehemente Kritik am Verhalten der EU-Staaten. Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, Anna Cavazzini (Grüne), kritisierte: "Deals zwischen Regierungen und immer weitere Abschwächungen eines ausgehandelten Texts haben das etablierte Gesetzgebungsverfahren missachtet und das Europaparlament düpiert." Ihr CDU-Amtskollege Voss betonte, dass die Änderungen nicht mit dem Parlament verhandelt worden seien. "So sollte die demokratisch gewählte Institution nicht mit sich umgehen lassen." Die Sozialdemokratin und Chefverhandlerin des Parlaments, Lara Wolters, sagte: "Trotz der zynischen Spielchen von europäischen Staats- und Regierungschefs wie Macron, Meloni und dem deutschen FDP-Chef Christian Lindner hat die belgische Ratspräsidentschaft die Blockade der Mitgliedstaaten erfolgreich überwunden."