Viele deutsche Unternehmen haben weltweite Lieferketten, für die sie nun geradestehen sollen. Foto: j-mel - stock.adobe.com

Eine Allianz von einem Dutzend Wirtschaftsverbänden wendet sich gegen die geplante Lieferketten-Richtlinie der Europäischen Union. Gerade kleine und mittlere Unternehmen würden davon völlig überfordert.

In der Verantwortung für soziale, ökologische sowie menschenrechtliche Belange, aber auch in der Angst vor Überforderung der Unternehmen hat sich eine breite Allianz von einem Dutzend Wirtschaftsverbänden an die deutschen Europaabgeordneten gewandt. Ziel sind Erleichterungen bei der geplanten Lieferketten-Richtlinie.

Das geplante EU-Gesetz soll Unternehmen für Menschenrechts- und Umweltverstöße in ihrer Wertschöpfungskette zur Rechenschaft ziehen. Über den vorige Woche erzielten Kompromiss des Parlaments wird an diesem Dienstag im Rechtsausschuss abgestimmt. Ende Mai könnte der Entwurf ins Plenum kommen. Danach müsste ein Konsens mit dem Ministerrat und der EU-Kommission gefunden werden – diese hatten ihren Vorschlag im Februar 2022 präsentiert.

Konkret bedeutet das Regelwerk, dass die Unternehmen ihre Zulieferer weltweit auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards hin überprüfen und bei Verstößen haften müssen. Die Verbände prophezeien schon: Dann müssten sich viele Firmen aus Regionen mit erhöhten menschenrechtlichen Risiken zurückziehen. Das Vorhaben „birgt einen enorm hohen bürokratischen Aufwand, der gerade für kleinere Unternehmen, die mindestens mittelbar von der Richtlinie betroffen sein werden, schlichtweg nicht zu schultern ist“, warnen die Verbände in dem unserer Zeitung vorliegenden Brief. Zudem könnten Unternehmen nicht für Verfehlungen außerhalb ihres direkten Einflussbereiches belangt werden. „Die vorgesehene zivilrechtliche Haftung sollte entsprechend begrenzt werden.“

Die Allianz setzt sich vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) ein, die „vom Anwendungsbereich ausgenommen werden müssen“. Große Unternehmen müssten bereits das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz umsetzen. „KMU verfügen nicht über die gleichen Kapazitäten – viele würden von den Vorgaben komplett überfordert“, heißt es.

Das zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene deutsche Gesetz regelt die unternehmerische Verantwortung für den Schutz vor Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne und den Schutz der Umwelt in den globalen Lieferketten. Es gilt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten, von 2024 an ab 1000 Arbeitnehmern im Inland.

Schon gegen dieses Regelwerk hatte die Wirtschaft massiven Widerstand geleistet – die Anforderungen des EU-Gesetzes gingen noch deutlich darüber hinaus, klagen die Verbände. Letztlich müssen die deutschen Regelungen den europäischen noch angepasst werden. Dann können Unternehmen schon ab 500 Beschäftigten und einem Mindestumsatz von 150 Millionen Euro betroffen sein – oder Unternehmen ab 250 Beschäftigten und einem Mindestumsatz von 40 Millionen, wenn sie in Branchen mit „hohem Schadenspotenzial“, wie der Textilindustrie, aktiv sind.

Aus Sicht der Verbände sollte das europäische Recht vergleichbar dem deutschen Gesetz auf den eigenen Geschäftsbereich, die Tochterunternehmen und direkte Zulieferer beschränkt werden. Wenn die EU diese Pflichten für die gesamte Wertschöpfungskette plane, verkenne sie die begrenzten Einflussmöglichkeiten von Unternehmen. Bezweifelt wird, dass die Einbindung der Wertschöpfungskette über direkte Lieferanten hinaus rechtssicher umsetzbar sei. Darüber hinaus erlitten europäische Unternehmen, die ohnehin schon mit den extrem schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen zu kämpfen hätten, „einen enormen Wettbewerbsnachteil“ gegenüber Unternehmen aus Drittländern, die diesem hohen Verwaltungsaufwand nicht ausgesetzt seien. „Damit würde das Gegenteil von dem erzielt werden, was die Kommission offiziell zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der EU anstrebt: Statt der versprochenen Entlastung der Unternehmen von Bürokratie um 25 Prozent wird hier enorme neue Bürokratie geschaffen“, warnen die Verbände.

Angeführt wird die Allianz vom Dachverband Gesamtmetall – beteiligt sind auch die Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), die Chemie-Arbeitgeber (BAVC), der Maschinenbauverband (VDMA), der Bundesverband Groß- und Außenhandel (BGA), der Arbeitgeberverband Luftverkehr (AGVL), der Gesamtverband Textil und Mode sowie der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI).