Albtraum auf See: Ein Frachtschiff wird in dieser Illustration von einer Monsterwelle erfasst. Foto: imago//cience Photo Library

Immer wieder werden Schiffe von gigantischen Wellen getroffen. Das Besondere an den Monsterwellen: Sie kommen aus dem Nichts und sind deutlich größer als ihre Nachbarwellen. Aber wie entstehen sie?

Kurz vor Weihnachten hat es wieder ein Schiff erwischt: Eine Monsterwelle traf während des Sturmtiefs Zoltan in der Nordsee das Kreuzfahrtschiff MS Maud. Die Wassermassen seien von der Seite gekommen und dann „einfach über dem Schiff explodiert“, schilderte eine Passagierin das Ereignis. Glücklicherweise kam durch den Aufprall niemand zu Schaden, aber die Wucht der Welle zerstörte die Brücke und legte die Elektrik an Bord lahm. Weil der Hauptmotor aber noch lief, konnte das Schiff aus eigener Kraft weiterfahren. Doch da wegen des Stromausfalls die Navigation lahmgelegt war, wurde es vom Rettungsdienst nach Bremerhaven eskortiert.

Mehr als nur Seemannsgarn

Solche Berichte von riesigen Wellen gibt es schon lange – und ebenso lange wurden sie als Seemannsgarn abgetan. Dann häuften sich im 20. Jahrhundert die Indizien, dass es tatsächlich solche Monsterwellen gibt. Den letzten Beweis lieferte eine riesige Welle, die am Neujahrstag 1995 die Ölbohrinsel Draupner E in der Nordsee traf: Ihre Höhe wurde mit einem Lasergerät erfasst, das 25,6 Meter ermittelte. Schäden an der Bohrplattform in ebendieser Höhe untermauerten die Glaubwürdigkeit dieser Messung.

Was diese Draupner-Welle genannte riesige Welle zur ersten, sicher nachgewiesenen Monsterwelle machte, war der Vergleich mit den anderen Nachbarwellen. Denn die absolute Höhe ist nicht entscheidend: Um zur Monsterwelle zu werden, muss ihre Wellenhöhe definitionsgemäß mehr als doppelt so hoch sein wie diejenige der übrigen Nachbarwellen. Und die waren rund um die Draupner-Plattform „nur“ zwölf Meter hoch.

Mehr als 30 Meter hoch war eine Welle vor Neufundland

Noch größer war der Unterschied bei einer Welle, die von einer Messboje vor dem kanadischen Küstenort Ucluelet nahe Vancouver registriert wurde. Sie tauchte im November 2020 urplötzlich aus dem Nichts auf und hob die Boje um 17,6 Meter an. Da die umgebenden Wellen nur 6,1 Meter hoch waren, wurde die Ucluelet-Welle zur bisher größten, je aufgezeichneten Monsterwelle. Nicht ganz so groß war die Differenz bei einer Extremwelle während eines Hurrikans im September 2019 vor Neufundland: Mit 30,7 Meter gilt sie als die höchste bisher mithilfe einer Boje gemessenen Welle – wobei die Nachbarwellen mit durchschnittlich 12,5 Meter Höhe auch nicht zu verachten waren.

Messbojen leisten mithin einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Riesenwellen, die in den vergangenen Jahren zunehmend intensiver geworden ist. Gleichwohl ist ihre genaue Entstehung immer noch ein Rätsel. Möglich ist, dass entgegengesetzte Strömungen die Wellen so zusammendrücken, dass letztlich eine Riesenwelle entsteht. Das kann gut sein, aber da es Monsterwellen auch in Regionen ohne solche Strömungen gibt, muss es noch andere Erklärungen geben. Die sogenannte Superposition zum Beispiel: Dabei holen schnellere und längere Wellen vorausgehende langsamere und kürzere Wellen ein und überlagern sie so, dass eine viel größere Welle entsteht. Beide Erklärungsmodelle gehen von linearen Wellen aus, also der üblichen Sinuskurve. Diese fängt bei null an und geht in einen Wellenberg über, an den sich ein gleich großes Wellental anschließt, das dann wieder bei null endet.

Wie entstehen Monsterwellen?

Doch dieser bekannte lineare Vorgang reicht wohl nicht als Erklärung für alle Monsterwellen aus. So kommt als weitere Möglichkeit eine nicht lineare Entstehungstheorie ins Spiel. Solch ein Wellenphänomen, auch Soliton genannt, sieht nicht wie die bekannte Sinuskurve aus, sondern ist asymmetrisch mit einem sehr kleinen Wellental und einem riesigen Wellenberg. Es ist auch denkbar, dass eine Kombination aus der Überlagerung linearer Wellen und nicht linearem Verhalten zu Monsterwellen führt.

So versuchen die Forschenden, sich mit komplizierten Rechenmodellen der Wirklichkeit anzunähern – was bei der Erklärung mancher bekannter Riesenwellen offenbar ganz gut klappen kann. Es lassen sich auch potenziell gefährliche Riesenwellen im Labor erzeugen – so, wie sie im großen Maßstab in ähnlicher Form in den Ozeanen auftreten. Die Physiker verwenden bei ihren Berechnungen dann Begriffe wie „Modulationsinstabilität von Wellen“, die sich mit einer nicht linearen Schrödingergleichung erfassen lässt. Die ist eigentlich eine der Grundlagen der Quantenmechanik. Da sie aber Wellenfunktionen beschreibt, könnte sie auch für nicht lineare Monsterwellen eine gute Erklärung liefern.

Mittlerweile gehen die Forschungsarbeiten weit über die extremen Wellen im Ozean hinaus. In viel kleinerem Maßstab kommen ähnliche Wellen zum Beispiel auch in Glasfasern vor. Ihre interdisziplinäre Erforschung umfasst mittlerweile auch Vorgänge im Bose-Einstein-Kondensat – ein Begriff aus der Quantenphysik –, Plasmawellen und quantenoptische Phänomene. So könnten neue Erkenntnisse nicht nur die Sicherheit auf dem Meer erhöhen, sondern letztlich auch Fortschritte etwa in der Quantenphysik oder der Nachrichtenübertragung bringen.

Extremwellen kommen ohne Vorwarnung

Begriff
Extrem hohe Wellen haben viele Namen. Seeleute nennen sie gerne Kaventsmänner – abgeleitet von dem lateinischen Wort cavere, was „sich in Acht nehmen“ bedeutet. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist meist von Monsterwellen die Rede.

Charakter
Monsterwellen haben einen gewaltigen Wellenberg, sie kommen unerwartet und ohne Warnung aus dem Nichts und verschwinden dann spurlos. Um zur Monsterwelle zu werden, müssen sie definitionsgemäß mehr als doppelt so hoch sein wie die sie umgebenden Wellen.

Tsunami
Von einer Monsterwelle unterscheidet sich ein Tsunami in mehrfacher Hinsicht. Vor allem entsteht dieser in der Folge eines Erdbebens oder eines Hangrutsches, also durch die schlagartige Verdrängung von Wasser. Auf dem Meer erreicht der Tsunami-Wellenberg meist nur einige Dutzend Zentimeter. Erst wenn die Welle in seichteres Wasser kommt, baut sie sich zu einem gewaltigen Wellenberg auf.