Marco Longobucco ist einer von zehn Inklusiast:innen, deren Projekt jetzt von der Fernsehlotterie mit 300 000 Euro bedacht worden ist. Foto: Julian Rettig

Zehn Personen mit unterschiedlichen Einschränkungen werden im Auftrag des Kreisjugendrings zu so genannten Inklusiasten ausgebildet. Das Projekt wird mit 300 000 Euro von der Fernsehlotterie gefördert.

Ein Unfall am 24. September 1998 hat Marco Longobuccos Leben jäh auf den Kopf gestellt. Der damals 25-Jährige war mit seinem „Höllenbike“, wie er seine Suzuki Streetfighter selbst heute noch fast liebevoll nennt, in Oberweissach auf dem Weg nach Hause, als plötzlich ein Traktor auf die Landesstraße einbog. Longobucco hatte keine Chance zu reagieren. Er prallte ungebremst gegen das massive Gefährt.

Erhebliche Einschränkungen blieben zurück

Obwohl er wie besessen an seiner körperlichen Rehabilitation arbeitete, sind bis heute erhebliche Einschränkungen zurückgeblieben. Der rechte Arm, an dem die Nerven irreparabel durchtrennt worden waren, ist verkrüppelt. Eine Gesichtslähmung macht ihm das Sprechen und andern das Verstehen schwer. Auch wenn er ein kleines Rechengenie und im Kopf völlig klar ist, wird er nicht selten zunächst einmal als geistig minderbemittelt abgestempelt.

Dagegen und gegen Berührungsängste kämpft der inzwischen 50-Jährige, den im Weissacher Tal fast jeder kennt, weil er dort täglich begleitet von seinem Hund mit einem ungewöhnlichen Fahrrad-Trike durch die Gegend saust, seit seinem Unfall an – indem er offen auf andere zugeht. Neuerdings macht er das in ganz offizieller Mission im Auftrag des Kreisjugendrings.

Einer von zehn Inklusiast:innen

Marco Longobucco ist einer von insgesamt zehn sogenannten Inklusiast:innen, welche die Organisation „verpflichtet“ hat, um als Botschafter in eigener Sache aufzutreten und für die Teilhabe von Menschen mit Handicap aktiv zu werden. Die Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, eine Geh- oder geistige Behinderung haben, blind oder autistisch veranlagt sind, sollen selbst die Initiative ergreifen und mit unterschiedlichsten Angeboten wie etwa Interviews, Filmen, Theateraufführungen oder Vorlesungen auf andere zugehen.

Das Ziel des Projekts sei, Menschen mit unterschiedlichen Arten von Einschränkungen sichtbar zu machen und vor allem in Kontakt mit nicht behinderten Kindern und Jugendlichen zu bringen, um Barrieren zu lösen und die Akzeptanz und Einbeziehung zu fördern. So beschreibt Simon Maier, neben Nurcan Dikme Yasar Projektleiter und selbst Inklusiast, den Auftrag.

Maier hat aus einem solchen Auftrag gewissermaßen schon lange einen Beruf gemacht. Der 47-Jährige kann wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt seine Beine gar nicht und den linken Arm nur schwer bewegen. Obwohl er auf einen monströsen Elektrorollstuhl angewiesen ist, arbeitet er bereits seit vielen Jahren beim Kreisjugendring Rems-Murr – als zuständiger Referent für das Projekt „Abenteuer Inklusion“.

Das Theater Lockstoff stellt Coaches

Gecoacht werden er und seine Mitstreiter in dem aktuellen Projekt, das seit Anfang des Jahres läuft, von Mitgliedern des Stuttgarter Theaters Lockstoff. Sie sollen die Inklusiasten kommunikativ auf ihre Auftritte in Schulen und bei anderen öffentlichen Gelegenheiten vorbereiten, aber auch individuell passende Formate entwickeln. In Simon Gleichs Fall etwa ist daran gedacht, mit einer Spezialkamera dessen Sicht auf Hindernisse wie Treppen, Bordsteinkanten und andere Barrieren aufzunehmen und das Ganze mit einer VR-Brille als Virtuelle Realität anderen erlebbar zu machen.

Für das nächste Treffen der Gruppe hat Wilhelm Schneck, der künstlerische Leiter des besonderen Theaters, indes gegenseitige Interviews auf die Tagesordnung gesetzt. Vorgesehen sind kleine Speed-Datings, bei denen zum Beispiel ein blinder Teilnehmer durch Nachfragen herausfinden soll, was es für eine Epileptikerin bedeutet, mit unkontrollierbaren Krampfanfällen klarkommen zu müssen und umgekehrt.

Möglich macht das Projekt eine finanzielle Förderung größerer Art. Am Samstag haben Verantwortliche der Fernsehlotterie im Beisein der Inklusiast:innen einen Scheck über 300 000 Euro überreicht und sich zuvor ein Bild von der Gruppe gemacht. Damit ist die Aktion nun bis Ende 2025 gesichert.

Hintergrund zur Projektförderung

Kreisjugendring
 Der Zusammenschluss der verbandlichen Jugendarbeit vertritt die Interessen von etwa 70 000 Jugendlichen in 43 Jugendverbänden. Er wirkt als Servicestelle und führt eigene Projekte durch.

Fernsehlotterie
 Die gemeinnützige Lotterie im Auftrag der ARD und der kommunalen Spitzenverbände ist 1956 gegründet worden. Die Einspielerlöse werden zu 40 Prozent dem Deutschen Hilfswerk zur Förderung sozialer Maßnahmen zur Verfügung gestellt. Im vergangenen Jahr wurden laut eigenen Angaben rund 34 Millionen Euro an mehr als 230 soziale Projekte in Deutschland ausgeschüttet. 29 davon sind in Baden-Württemberg und wurden mit einer Gesamtsumme von rund 4,6 Millionen Euro gefördert. Das Backnanger Projekt profitiert mit 300 000 Euro.