Die leitende Hebamme Cornelia Kraus (links) und Chefärztin der Gynäkologie Monica Diac (rechts) blicken sehr positiv auf das vergangene Jahr im Hebammenkreißsaal. Foto: /Jürgen Bach

Eine möglichst natürliche Geburt: Das geht im Hebammenkreißsaal des Leonberger Krankenhauses. Geburten werden dort nur von Hebammen betreut. Das Konzept punktet aber nicht nur bei den schwangeren Frauen.

Bereits 26 Frauen haben hier ohne ärztliche Hilfe entbunden: im hebammengeführten Kreißsaal des Leonberger Krankenhauses. Jetzt feierte die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe das einjährige Bestehen dieses besonderen Betreuungskonzeptes für werdende Mütter. „Ein Jahr Hebammenkreißsaal ist ein Grund, sich zu freuen“, sagte Landrat Roland Bernhard, der Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikverbundes Südwest. „Es ist etwas Besonderes, dass in diesem Kreißsaal die Hebammen das Zepter in der Hand haben.“

Bei dem Hebammenkreißsaal handelt es sich um ein zusätzliches Betreuungskonzept zur ärztlich geführten Entbindung. „Ziel ist, Frauen auf dem Weg, aus eigener Kraft zu gebären, zu begleiten“, erläutert die leitende Hebamme Cornelia Kraus.

Im hebammengeführten Kreißsaal werden gesunde Frauen mit einer komplikationsfreien Schwangerschaft bei der Geburt ausschließlich von Hebammen betreut, die eigenständig arbeiten. Die werdenden Mütter entbinden dabei möglichst natürlich, ohne Medikamente oder medizinische Eingriffe. Nur wenn Komplikationen auftreten oder die Frau um eine Betäubung gegen die Schmerzen, wie eine Periduralanästhesie (PDA), bittet, wird ein Arzt hinzugezogen.

Großes Interesse an Geburt im Hebammenkreißsaal

In Baden-Württemberg gibt es aktuell sechs hebammengeführte Kreißsäle, in der Region bieten die Kliniken in Bad Cannstatt, Bietigheim-Bissingen und Herrenberg dieses Konzept an. Das Krankenhaus in Herrenberg, das wie Leonberg zum Klinikverbund Südwest gehört, hat bereits 2009 einen hebammengeführten Kreißsaal eingerichtet. 2021 zog dann Leonberg nach, der Aufsichtsrat gab grünes Licht für die Einführung eines Hebammenkreißsaals. Im Mai 2022 fand schließlich die erste Sprechstunde für Schwangere statt, die auf diese Weise gebären wollen. Ende Juli 2022 entband die erste Frau im hebammengeführten Kreißsaal.

„Wir haben im vergangenen Jahr sehr positive Erfahrungen mit diesem Konzept gemacht“, erläutert Monica Diac, die Chefärztin für Gynäkologie, mit Blick auf die letzen zwölf Monate. Das Interesse an einer Geburt im hebammengeführten Kreißsaal sei groß. „Das Angebot wird sehr gut angenommen“, bestätigt Cornelia Kraus. Die Nachfrage steige weiter an.

26 Geburten im Hebammenkreißsaal

„In den Hebammenkreißsaal gehen Frauen, die die Geburt unglaublich bewusst und interventionsarm erfahren wollen“, so die leitende Hebamme. 92 Frauen haben sich im ersten Jahr für die Vorgespräche angemeldet, die für eine Entbindung im Hebammenkreißsaal notwendig sind. In zwei Sprechstunden wird abgeklärt, ob diese Art der Entbindung für die Schwangere geeignet ist. Gegen eine Geburt in diesem Rahmen sprechen beispielsweise eine komplikationsreiche Schwangerschaft, Vorerkrankungen oder eine komplizierte Kindslage. Bei diesen Vorgesprächen fiel laut Cornelia Kraus ein Drittel der Frauen raus. Von den 50 übrigen Frauen brachten 26 ihr Baby auch im hebammengeführten Kreißsaal zur Welt, die restlichen Frauen wurden nach Geburtsbeginn in den ärztlichen Kreißsaal übergeleitet. Dieses Verhältnis entspricht laut Kraus der für Hebammenkreißsäle üblichen Statistik. Die Erfahrungen der Frauen bei der Geburt seien durchweg positiv gewesen.

Konzept punktet auch bei Hebammen

Auch die Hebammen hat das Konzept nach einem Jahr überzeugt. „Es ist eine wunderbare Arbeit, es gibt viele tolle Geburten“, sagt Cornelia Kraus. „Unsere Zufriedenheit ist noch gestiegen, da wir durch das Konzept unser Fachwissen noch vergrößern können.“

Der hebammengeführte Kreißsaal hat das Krankenhaus zudem als Arbeitgeber attraktiver gemacht, wie die Chefärztin Monica Diac erklärt. „Im letzten Jahr mussten wir noch eine Leasing-Hebamme einsetzen. Jetzt sind wir überbesetzt.“

16 Hebammen arbeiten im Team der Frauenklinik. Viele Hebammen haben sich laut Diac gezielt in Leonberg beworben, da sie wussten, dass es dort einen Hebammenkreißsaal gibt. Insgesamt sei die Zusammenarbeit zwischen den Ärzten und Hebammen durch das Betreuungsmodell gestärkt worden und laufe richtig gut, sagt Diac.

Das Konzept steckt nach einem Jahr aber noch in den Kinderschuhen, wie Cornelia Kraus erklärt. Im Krankenhaus in Herrenberg seien zum Beispiel mittlerweile ein paar Risikofaktoren gestrichen worden, die eine Geburt im Hebammenkreißsaal ausschließen und aktuell in Leonberg noch gelten. „Sie sind schon erfahrener, aber das wird bei uns auch noch kommen“, sagt Kraus. „Das Projekt braucht Zeit und Arbeit, wir sind noch am Anfang“, meint die Chefärztin Diac.

Land will Hebammenkreißsäle fördern

Pünktlich zum Einjährigen gibt es gute Nachrichten vom Land: Am 18. Mai gab das baden-württembergische Sozialministerium bekannt, Hebammenkreißsäle mit einem Fördertopf von insgesamt 500 000 Euro zu unterstützen. Ziel sei, dieses Konzept in die Fläche zu bringen. Auch Häuser, in denen Hebammen schon jetzt bei der Geburt die Regie führen, können sich für eine Förderung bewerben. Das Krankenhaus Leonberg rechnet laut Cornelia Kraus mit mit einem Zuschuss von 25 000 Euro.

Es gibt auch schon Pläne, wie die Fördermittel eingesetzt werden können: Von dem Geld sollen wichtige Fortbildungen, zum Beispiel zur alternativen Schmerzlinderung, finanziert werden, erläutert Cornelia Kraus. Außerdem könne dadurch die Schwangerenambulanz weiter ausgebaut werden.

Für die Geburten im Hebammenkreißsaal soll es ebenfalls neue Anschaffungen geben: Von dem Geld können zum Beispiel neue Tens-Geräte gekauft werden, die Schmerzen durch elektrische Impulse lindern, so Kraus. Aber auch die Babys werden nicht vergessen: Für sie soll es bald neue Kleidung geben.