Erfolgreiche Symbiose: Uta Scheirle als „Miss Fellbach“ umgarnt erfolgreich den Pianisten Kai Müller im Schmiden-T-Shirt – so ähnlich war’s vielleicht vor 50 Jahren. Foto: Peter Hartung (Stadt Fellbach)

Mit einem abwechslungsreichen Abend wurde die 50-jährige Eingemeindung Schmiden in Fellbach zelebriert. Neben Erinnerungen an die damalige Zeit begeisterten Schlager aus den 70er Jahren.

Eine Szene, fast wie im richtigen Leben: Sie schmachtet in engen Jeans mit Schlag und einem körperbetonten Fellbach- T-Shirt den eher unwillig-zögerlichen Herrn der Schöpfung aus dem Gebiet nördlich der Stadtgrenze an. Auf die Schnelle fruchten die Umgarnungen zwar nicht, aber irgendwann gibt er halt nach – so eine Zweckehe hat vielleicht doch ihre Vorteile. Und mittlerweile hält die Verbindung auch schon ein halbes Jahrhundert und hat an Reiz eher sogar noch zugenommen.

Textsicheres Publikum singt bei den 70er Schlagern mit

Die Schauspieleinlage der aus Fellbach stammenden Sängerin Uta Scheirle und des Schmideners Kai Müller am Piano hat sich so ähnlich auch im politischen Leben vor mehr als 50 Jahren abgespielt. Das Musik-Duo peppte den gelungenen Jubiläumsabend zur 1973 vollzogenen Vereinigung von Fellbach und Schmiden weiter auf. Passend zu jener Zeit intonierten die beiden Schlager und Gassenhauer aus jenen frühen 70er Jahren, was das textsichere Publikum zum kräftigen Mitsingen und -klatschen animierte. Die geglückte Fellbach-Schmiden-Liaison spiegelte sich in bis heute bekannten Titeln wie „Aber dich gibt’s nur einmal für mich“, „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“, „Du kannst nicht immer 17 sein“ oder „Er gehört zu mir“ – nämlich er, der andere Stadtteil.

Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull – sie ist seit 2016 im Amt und hat somit rund ein Siebtel dieser Zeit selbst miterlebt – begrüßte unter den Gästen ihren Vorgänger Christoph Palm und seine Mutter Ute, Ehefrau des früheren Fellbacher Oberbürgermeisters Guntram Palm, der seinerzeit die Eingemeindung Schmidens maßgeblich vorangetrieben hatte. Palm „war überzeugt, dass der Zusammenschluss eine positive Sogwirkung haben wird“, so Zulls Einschätzung. Ebenfalls zur Zeremonie gekommen war Gretel Kiel, Gattin des von 1976 bis 2000 amtierenden Stadtoberhaupts Friedrich-Wilhelm Kiel, der die weitere Zusammenarbeit der Stadtteile gestaltet hatte.

Zull, selbst Jahrgang 1967, beschrieb launig die teils seltsamen Entwicklungen der damaligen Jahre: „Einige von Ihnen werden sich noch an die Zeit der Foto-Tapeten und Pril-Blumen, der Schlaghosen, Pullunder und Pailletten, der Plateauschuhe und der glänzenden Overalls erinnern.“

Mindesteinwohnerzahl 8000 Menschen pro Gemeinde

Dass sich die Nachbargemeinden damals überhaupt vermählen sollten, war Folge der seinerzeit praktizierten und als unverzichtbar eingeschätzten Gebietsreform. „In allen Bundesländern sollten sogenannte leistungsfähige Gebietskörperschaften geschaffen werden – ein sehr bürokratischer Begriff“, wie Zull zu Recht urteilte. Ziel war, das Ungleichgewicht zwischen einerseits kräftig wachsenden und andererseits um ihre Existenz ringenden Kommunen zu beseitigen. In Baden-Württemberg legte die große Gebietsreform eine Mindesteinwohnerzahl von 8000 Menschen pro Gemeinde fest.

Doch das Thema wühlte in vielen Flecken die Menschen auf, die um ihre eigene Identität fürchteten und sich nicht so einfach vom größeren Nachbarn einverleiben lassen wollten. Auch in Schmiden wurde kontrovers diskutiert – „allerdings immer mit einer leichten Tendenz zur positiven Grundstimmung“, wie Zull konstatierte. Letztlich fand sich eine Mehrheit für Guntram Palms Credo, „am neuen Fellbach zu bauen“.

In der von Fellbachs Stadtarchivarin Ursula Teutrine souverän moderierten Gesprächsrunde unternahmen einige Augenzeugen die Zeitreise, allen voran Stadtrat Ulrich Lenk, „ein Schmidener mit Leib und Seele“, wie Zull ihn charakterisierte. Viele Schmidener seien seinerzeit nicht gerade begeistert gewesen, „von den als hochnäsig eingestuften Fellbacher Stadtmenschen geschluckt zu werden“, so Lenk, aber massive Proteste seien ausgeblieben.

In charmanter Manier den Anschluss schmackhaft gemacht

Vor allem Guntram Palm habe „mit seiner charmanten Art und meisterhaften Überzeugung den Schmidenern den Anschluss an die Kappelbergstadt schmackhaft gemacht“. Bei gemeinsamen Abenden im Grünen Baum in Schmiden habe er von Palm zu vorgerückter Stunde auch erfahren, „dass der Mond mit vier Vierteln voll ist, aber der Fellbacher Oberbürgermeister erst mit sechs“.

Allen war seinerzeit auch klar, dass es einer gemeinsamen, leistungsstarken Stadt eher gelingen würde, „sich gegen das immer wieder aufkeimende Eingemeindungsstreben der Landeshauptstadt Stuttgart zu wehren, was alle Fellbacher gleichermaßen als ,Worst Case’ ablehnten“, so Lenk.

Stadtmuseumsleiterin Teutrine schilderte, dass sie seinerzeit „von außen kommend“ manches lernen musste – etwa dass originale Fellbacher als „Fellbächer“ bezeichnet werden, dass es in Schmiden die hervorragendsten Ackerböden gibt „und dass man Oeffingen niemals mit Ö schreiben darf“. In weiteren Runden schilderten andere Zeitzeugen die damaligen Entwicklungen bei der Zusammenarbeit der Feuerwehren in den drei Stadtteilen oder in den Gesangsvereinen – und, dass in Schmiden wohl fast jeder zweite Kaufmann oder Bürkle heißt. Dies zeigte sie etwa in der Concordia, als „fünf Otto Bürkles in der Singstunde waren“, wie das erheiterte Publikum erfuhr.

Ulrich Lenks Fazit nach 50 Jahren kommunaler Zweckehe werden vermutlich die meisten teilen: „Mit der Entwicklung können wir zufrieden sein.“