Spaniens Coach Jorge Vilda und Englands Trainerin Sarina Wiegman treffen aufeinander. Foto: imago/Adam Davy

In Spanien und England begegnen sich zwei unterschiedliche Fußball-Kulturen. Das spiegelt sich in den Coaches wider: Hie ein Trainer, der polarisiert, da eine Trainerin, die fasziniert.

Jill Ellis hatte in dem Moment kein Auge für die fantastischen Ausblicke aus den Panoramafenstern. Vor einer Werbewand stehend äußerte sich die frühere US-Nationaltrainerin im Kongresscenter am Darling Harbour von Sydney zum WM-Finale zwischen Spanien und England am Sonntag (12 Uhr MESZ/ZDF): „USA, Deutschland, Japan: Alle Giganten sind raus. Aber es ist gut, wenn wir einen neuen Weltmeister sehen.“ Grundsätzlich hat die Leiterin der Technischen Studiengruppe des Weltverbandes Fifa bei diesem Turnier eine „phänomenale Entwicklung“ beobachtet. In der Tat: Es ist fast schon egal, welches europäische Team im mit mehr als 75 000 Menschen gefüllten Australia Stadium siegen wird: Der Fußball der Frauen ist bereits der Gewinner.

Die Stilfrage ist knifflig

Fest steht unwiderruflich, dass bei der neunten Auflage die zweite Nation nach Deutschland gekrönt wird, die sich mit Männer und Frauen Weltmeister nennen darf. Einen Favoriten kann die Erfolgsgarantin Ellis (56), die mit ihrer charismatischen Art die US-Girls zu den WM-Triumphen 2015 und 2019 coachte, nicht erkennen: „Es sind zwei Teams mit großen Gegensätzen, aber beide wollen pressen, beide wollen den Ball.“ Die Stilfrage zweier unterschiedlicher Fußball-Kulturen ist tatsächlich vor dem Showdown recht knifflig.

Die auf Kombinationen und Kurzpässen fußende spanische Philosophie, die vom landestypischen Tiki Taka abgeleitet wird, trifft auf den auf Power und Physis ausgelegten englischen Ansatz, der ein bisschen vom früheren Trendsetter USA abgeleitet ist. Beide Teams definieren sich über das Kollektiv mit erfahrenen Führungsspielerinnen: Hier sind es Jennifer Hermoso, Irene Paredes oder Aitana Bonmati, dort Millie Bright, Lucy Bronze oder Mary Earps, die als goldene Generation Geschichte schreiben wollen.

Die Lionesses bringen einen psychologischen Vorteil mit, weil sie im EM-Viertelfinale gegen La Furia Roja vor einem Jahr in Brighton &Hove in der Verlängerung – dank des wuchtigen Schusses der für den FC Bayern spielen Georgia Stanway – gewonnen hatten. Sie wären zudem das erste Ensemble nach Deutschland 2007, das nach einer EM bei der folgenden WM triumphiert.

Die Gerüchteküche um einen Trainerwechsel brodelt

Keiner der Finalisten hat bei der Endrunde die Sterne vom Himmel gespielt – umso wichtiger war der Input von der Trainerbank. So wie Spaniens „Architekt“ Jorge Vilda aus dem letzten Gruppenspiel gegen Japan (0:4) die richtigen Lehren zog, hat „Superhirn“ Sarina Wiegman aus dem Achtelfinale gegen Nigeria (4:2 im Elfmeterschießen) wichtige Erkenntnisse gesammelt. Es hat eine gewisse Pikanterie, dass der als Ellis-Erbe gescheiterte US-Nationaltrainer Vlatko Andonovski mit seinem Rücktritt den Verdacht nährte, der US-Verband könnte die mit einer hohen Affinität zu den Vereinigten Staaten ausgestattete Niederländerin zu sich locken.

Rasch versuchte Englands Verband (FA), solche Spekulationen vor dem Finale einzufangen. Zum einen bekäme die bis 2025 gebundene 53-Jährige sicher nicht die Freigabe, hieß es, zum anderen habe man mit der Erfolgstrainerin noch ganz andere Dinge vor. FA-Direktor Mark Bullingham schloss nicht aus, dass sie im Grunde auch den Job von Gareth Southgate machen könne. Die damit ausgelöste Debatte hat Emma Hayes, die Teammanagerin des FC Chelsea, verärgert: „Der Frauenfußball schreibt hier gerade seine eigene Geschichte – warum reden wir schon wieder über den Männerfußball?“ wetterte sie bei der Fifa-Tagung am Freitag. Da war schon ein Grummeln zu vernehmen.

Auch abseits davon gibt es Geraune. Dass sich der Präsident des Königlich-Spanischen Fußball-Verbandes (RFEF), Luis Rubiales, auf die Schulter klopft, weil jetzt 100 000 Frauen und Mädchen in seinem Land kicken oder weil der Verband 15 000 Euro pro Spielerin für das Einfliegen der Familie spendiert, empfinden viele als blanken Hohn. Schließlich waren die teils unprofessionellen Bedingungen der Hauptgrund für die Rebellion von 15 Nationalspielerinnen vor knapp einem Jahr. Und Trainer Vilda sei ja vor allem deshalb geblieben, heißt es, weil dessen Vater Angel einen RFEF-Posten besaß. Insofern, wenden Kritiker ein, wäre die Krönung für den 43-Jährigen ein fatales Zeichen für den Sport. Entschieden wird das Endspiel aber nicht in überwölbenden Debatten.

Spekulationen über die Aufstellungen

Ob Lauren James nach Ablauf ihrer Sperre wieder für England aufläuft, wird auf der britischen Insel genauso heftig diskutiert wie auf der iberischen Halbinsel, ob Alexia Putellas bei Spanien den Vorzug vor Shootingstar Salma Paralluelo bekommt. Sollte diese erneut als Einwechselspielerin den Unterschied machen, wäre die 19-Jährige eine Kandidatin für den „Goldenen Ball.“ Denn eine einzelne Persönlichkeit, die wie Megan Rapinoe bei der WM 2019 sportlich und gesellschaftspolitisch alles überstrahlt, ist weit und breit nicht in Sicht. Daran wird auch ein von Expertin Ellis erwartetes „faszinierendes Finale“ nichts mehr ändern.