Bislang ging die evangelische Kirche von deutlich weniger Missbrauchsopfern aus. (Symbolfoto) Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Laut einer Studie ist die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie viel höher als bislang angenommen. Die Einzelheiten.

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hat es in der evangelischen Kirche in größerem Ausmaß gegeben als bislang angenommen. Ein von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragtes unabhängiges Forscherteam stellte am Donnerstag in Hannover seine Studie vor, in der von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede ist.

Das sei jedoch nur die „Spitze der Spitze des Eisbergs“. Es gebe Kenntnisse über weitere Fälle, die aufgrund fehlender Informationen nicht hätten strukturiert erfasst werden können, heißt es in der Mitteilung des Forscherteams. Untersucht wurden den Angaben zufolge flächendeckend nur Disziplinarakten.

Bislang war nur bekannt, wie viele Betroffene sich in den vergangenen Jahren an die zuständigen Stellen der Landeskirchen gewandt haben. Nach Angaben der EKD waren das 858.

Studie weist auf evangelische Besonderheiten hin

Die Studie zeigt den Angaben zufolge, dass es evangelische Besonderheiten gibt, die sexualisierte Gewalt ermöglichen und begünstigen können. Dazu zählten eine „Diffusion von Verantwortung“, der übermäßige Wunsch nach Harmonie, eine fehlende Konfliktkultur sowie „die Selbsterzählung der Fortschrittlichkeit“. Das blockiere auch Aufarbeitungsversuche. Dabei zeige die Studie „deutlich“, dass sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche nicht reduzierbar auf bestimmte lokale oder zeitliche Umstände sei wie beispielsweise die frühere Heimerziehung oder den liberalen Sexualitätsdiskurs der 1970er Jahre.

Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs sagte bei der Vorstellung der Studie zur lückenhaften Datengrundlage: „Ich weiß, dass die Forschenden unzufrieden waren und sind. Wir nehmen die Kritik an.“ Es sei klar, dass die evangelische Kirche zu einer einheitlichen Falldokumentation kommen müsse. „Wir haben diese Studie gewollt, wir haben sie initiiert und wir nehmen sie an, mit Demut“, sagte sie.