„Der Denker“: ein Prä-Neandertaler auf der Übergangsstufe zum Neandertaler – Rekonstruktion im Landesmuseum für Vorgeschichte im Landesamt für Archäologie in Halle (Saale). Foto: Imago/Steffen Schellhorn

Neue Funde in Thüringen zählen zu den frühesten Nachweisen des Homo sapiens in Eurasien. Sie zeichnen ein anderes Bild von der Besiedlung Europas durch den Menschen - und vom Zusammenleben mit dem Neandertaler.

Trotz eisiger Kälte besiedelte der Homo sapiens Mittel- und auch Nordwesteuropa schon deutlich früher als bisher bekannt. Funde aus der Ilsenhöhle in thüringischen Gemeinde Ranis belegen, dass moderne Menschen dort schon vor mindestens 45 000 Jahre lebten. Damals war es etwa 7 bis 15 Grad kälter als heutzutage.

Lange Koexistenz von Neandertaler und Homo sapiens

Der Homo neanderthalensis lebte vor über 40 000 Jahren in Europa (Rekonstruktion im Museum im Archäopark Niederstotzingen auf der Schwäbischen Alb). Foto: Imago/Arnulf Hettrich

Das zeige, wie gut sich schon der damalige Mensch an raue Umweltbedingungen anpassen konnte, schreibt ein internationales Forschungsteam um Jean-Jacques Hublin vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Zudem belegen die drei gleichzeitig in den Fachjournalen „Nature“ und „Nature Ecology & Evolution“ veröffentlichten Studien, dass Mensch und Neandertaler über Jahrtausende in Europa koexistierten – möglicherweise sogar mehr als 10 000 Jahre lang.

Frühe Funde in der Ilsenhöhle

Funde aus der Stadt Ranis: Es handelt sich um einfache Steinwerkzeuge. Der Homo sapiens besiedelte Mittel- und auch Nordwesteuropa schon deutlich früher als bisher angenommen. Foto: Josephine Schubert/ Museum Burg Ranis/dpa

Die Funde aus Ranis bei Saalfeld bringen gleich mehrere Annahmen von Paläontologen ins Wanken. Bisher dachte man, dass der moderne Mensch Europa erst vor etwa 40 000 Jahren besiedelte und nur vereinzelt früher auftauchte.

Bestimmte, teilweise beidseitig bearbeitete Steinklingen, die älter sind und auch in Nordwesteuropa auftauchten, wurden bisher Neandertalern zugeordnet, die schon viel früher auf dem Kontinent lebten und vor etwa 40 000 Jahren verschwanden.

Superscharfe Steinklingen und menschliche DNA

In der Ilsenhöhle fand das Team um Hublin neben diesen sogenannten LRJ-Klingen Knochenreste, deren DNA eindeutig vom Homo sapiens stammt. Demnach gehen LRJ-Steinklingen, die unter anderem in Großbritannien und Südafrika entdeckt wurden, ebenfalls auf den Homo sapiens zurück.

Die Ilsenhöhle liegt unterhalb der Burg Ranis in der gleichnamigen thüringischen Stadt. Foto: Tim Schüler TLDA/dpa

Die Technik, bei der die Kanten der Steine mit Druck kontrolliert bearbeitet werden, entstand bereits vor 75 000 Jahren,vermutlich in Südafrika. Bei dieser Technik des sogenannten Pressure-Flaking wurde auf die Kanten von zunächst roh behauenen Steinstücken mit einem Tierknochen oder einem anderen Werkzeug so stark Druck ausgeübt, dass dünne Steinplättchen absplittern.

So entstanden sehr scharfe Kanten. Einige Steinarten können direkt auf diese Weise bearbeitet werden, andere müssen zuvor erhitzt werden.

Steingeräte vom Homo sapiens

Ein Fund aus der Stadt Ranis bei Saalfeld: Es handelt sich um das Fragment eines menschlichen Knochen. Foto: Tim/ Schüler TLDA/dpa
Nach der chemischen Aufbereitung und Reinigung werden sehr kleine Proben von Tierzähnen von einer Forscherin in das Magazin eines Isotopenverhältnis-Massenspektrometers geladen, um sauerstoffstabile Isotopenverhältnisse zu ermitteln, die Informationen über frühere Klimazonen liefern, in denen die Tiere lebten. Foto: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie/dpa

„Die Fundstelle in Ranis erbrachte den Beweis für die erste Ausbreitung von Homo sapiens in die nördlichen Breiten von Europa“, erläutert Hublin, emeritierter Direktor des Leipziger Max-Planck-Instituts. „Es ist jetzt sicher, dass Steingeräte, von denen man dachte, dass sie von Neandertalern hergestellt wurden, definitiv von modernen Menschen stammen.“

Tausende Knochenfragmente gefunden

Die unmittelbar unter der Burg Ranis gelegene Ilsenhöhle wurde bereits in den 1920er und 1930er Jahren ausgiebig erforscht. Doch bei Grabungen nach 2016 schürfte das Team nun tiefer und stieß unter dem eingestürzten Höhlendach auf tausende zersplitterte Knochenfragmente. Manche davon stammen eindeutig von modernen Menschen, andere von Tieren.

„Die archäozoologische Untersuchungen zeigen, dass die Höhle in Ranis abwechselnd von Hyänen, überwinternden Höhlenbären und kleinen Menschengruppen genutzt wurde“, erklärt Ko-Autor Geoff Smith von der englischen Universität Kent. „Obwohl diese Menschen die Höhle nur über kurze Zeiträume nutzten, verzehrten sie Fleisch einer Reihe von Tieren, darunter Rentiere, Wollnashörner und Pferde.“

Raue, karge Landschaften im eiszeitlichen Thüringen

Isotop-Analysen von Pferdezähnen zeigten, dass in der Region insbesondere vor etwa 44 000 Jahren ein sehr kaltes Kontinentalklima vorherrschte. Damals glich die Gegend einer offenen Steppe wie im heutigen Sibirien. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass selbst diese frühen Homo-sapiens-Gruppen, als sie sich über Eurasien ausbreiteten, schon in der Lage waren, sich an solch raue klimatische Bedingungen anzupassen“, betont Ko-Autorin Sarah Pederzani von der Universität La Laguna auf Teneriffa.

„Bisher ging man davon aus, dass die Widerstandsfähigkeit des Menschen gegen kalte Klimabedingungen erst mehrere Tausend Jahre später entstand.“ Möglicherweise zogen Menschen auf der Jagd nach größeren Tierherden sogar gezielt in die kalte Region.

Unklar ist, ob die frühen Bewohner der Ilsenhöhle dauerhaft in Mitteleuropa lebten oder nur saisonal nach Norden vorstießen, etwa in Form kleiner mobiler Jagdtrupps. Wie dem auch sei: Spuren im Erbgut heutiger Europäer hinterließen sie nicht. Die genetische Linie dieser frühen Menschen starb irgendwann aus.

Info: Epochen der Steinzeit

Steinzeit
Die früheste Epoche der Menschheitsgeschichte ist durch den Gebrauch von Steinwerkzeugen gekennzeichnet, die bereits von frühen Vertretern der Gattung „Homo“, dem „Homo habilis“ und „Homo erectus“ hergestellt wurden. Die Steinzeit begann vor 2,6 Millionen Jahren in Afrika und in Europa vor 1,1 Millionen Jahren und endete vor 2200 v. Chr.. Die Steinzeit wird in drei große Perioden unterteilt:

Altsteinzeit
Die Altsteinzeit (Paläolithikum) beginnt mit dem Altpaläolithikum (vor 2,6 Millionen bis 300 000 Jahren), gefolgt vom Mittelpaläolithikum (vor 300 000 bis 40 000 Jahren) und endet mit dem Jungpaläolithikum (vor 40 000 bis 10 000 Jahren). Die Menschen waren Jäger und Sammler, zusammengesetzte Jagdwaffen aus Holz und Stein und das Feuer waren ihnen bekannt.

Mittel- und Jungsteinzeit
Mit dem Ende der Eiszeit beginnt in Europa die Mittelsteinzeit (Mesolithikum, 9600-4500 v. Chr.). Der Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur zu Ackerbau und Viehzucht markiert den Beginn der Jungsteinzeit (Neolithikum, deshalb auch Neolithische Revolution genannt). In Mitteleuropa beginnt sie um 5600 bis 4900 v. Chr. und endet um rund 2150 v. Chr..

Kupfer- und Bronzezeit
Das Ende der Steinzeit wird eingeläutet durch den in Ägypten, Südosteuropa und Vorderasien aufkommenden Kupferbergbau und die ersten Techniken der Metallurgie (sogenannte Kupferzeit). Der bekannteste Mensch der Kupferzeit ist der als Kältemumie erhaltene Ötzi (um 3300 v. Chr.). Mit der Bronzezeit, in der Metallgegenstände vornehmlich aus Bronze (einer Legierung von Kupfer und Zinn) hergestellt werden, endet endgültig die Steinzeit.