Siemens-Windräder in Marokko Foto: Siemens AG/Paul Langrock Agentur Zenit

Teile des Geschäfts mit Windturbinen an Land stehen zur Disposition. Staatsgarantien können das nicht verhindern. Betroffenen Fabriken und Jobs droht Ungemach.

Christian Bruch verdeutlicht die Dimension des Krisenfalls. „Wir haben den größten Auftragsbestand in der Energietechnikindustrie, ein Gelingen der Energiewende wird Siemens Energy brauchen“, betont der Chef des Dax-Konzerns bei einer denkwürdigen Bilanzvorlage in München. Bis zum Vorabend hatten Bund und Banken, Siemens Energy und Mutter Siemens verhandelt, um überlebenswichtige Staatsgarantien zu sichern. Letzte Details sind immer noch offen, zeigten Bruchs Antworten. Klar ist aber, dass der Krisenkonzern von zwölf Milliarden Euro, die Banken für Siemens Energy-Großprojekte garantieren, 7,5 Milliarden Euro rückversichert und Siemens für eine weitere Milliarde Euro geradesteht. Gut ist alles damit aber noch lange nicht.

Siemens Energy will künftig nicht die ganze Welt mit Windanlagen beliefern

Denn als Konsequenz aus dem eskalierten Dauerdesaster erwägt Bruch einen Teilrückzug aus dem Geschäft mit Windturbinen an Land (Onshore), wo sich bestehende Probleme konzentrieren. „Wenn ein Bereich so viel Geld verliert, muss man die Strategie hinterfragen“, hat der Manager nach dreijähriger Talfahrt erkannt. Allein im abgelaufenen Geschäftsjahr 2022/23 (zum 30. September) betrug der Verlust bei 31 Milliarden Euro Umsatz netto 4,6 Milliarden Euro, nachdem schon in Vorjahren geringere rote Zahlen zu Buche standen.

Defizitär bleibt das Windgeschäft zudem bis 2026, kündigte der Konzernchef an. Für 2023/24 wird ein operatives Minus von etwa zwei Milliarden Euro erwartet. Nur Verkäufe nicht zum Kerngeschäft zählender Aktivitäten mit erwarteten Erlösen von 2,5 bis 3,0 Milliarden Euro lassen unter dem Strich im laufenden Geschäftsjahr auf bis zu eine Milliarde Euro Jahresgewinn hoffen.

Langfristig schwerwiegender ist, dass Siemens Energy künftig nicht mehr die ganze Welt mit Onshore-Windkraftanlagen beliefern will. „Europa wird ein Schlüsselmarkt sein und auch die USA“, meinte Bruch vage. Asien kommt in dieser kurzen Aufzählung nicht mehr vor. Auch technologisch werde Siemens Energy wohl nicht mehr alle heutigen Varianten an Windturbinen anbieten. Aus welchen Regionen und Produkten man sich genau zurückzieht, wird kommenden Dienstag gegenüber Börsianern enthüllt.

Qualitätsmängel am aktuellsten Windturbinenmodell

Dazu kommt, dass Siemens Energy ohnehin das Neugeschäft mit der aktuellsten Onshore-Windturbinengeneration 5X ausgesetzt hat. Vor allem dort sind Qualitätsmängel an Blättern und Getrieben aufgetreten, die jüngste Milliardenverluste mitverursacht haben und nun technische Neuplanungen nötig machen. Reparaturen an schon ausgelieferten 5X-Turbinen müsse man sich wie eine Rückrufaktion in der Autoindustrie vorstellen, meinte Bruch. Nur fahren die Turbinen wie im Vergleich nicht selbst in die Werkstatt, weshalb das Reparieren wohl mehrere Jahre dauert.

Wann für das Sorgenkind 5X wieder Aufträge angenommen werden können, steht zudem in den Sternen. „Wir werden in einigen Wochen oder Monaten Aussagen treffen, wann wir wieder loslegen können“, meinte Bruch. Klar sei nur, dass der Auftragseingang bei Windkraft 2023/24 sehr gering ausfallen werde.

Die Auslastung in den Fabriken werde zurückgehen

Das wirft im Zusammenspiel mit dem Teilrückzug aus dem Onshore-Bereich die Folgefrage auf, was das für die Auslastung in den Fabriken und das Personal bedeutet. Klammert man das ungefährdete Service-Geschäft aus, sind dort in der Fertigung in Spanien, Portugal und außerhalb Europas rund 7000 Mitarbeiter beschäftigt. Die Auslastung in den Fabriken werde zurückgehen, räumt Bruch ein. Aber man könne auch von einem Rekordauftragsbestand zehren, der konzernweit inklusiver fossiler Geschäfte bei 112 Milliarden Euro liegt. Wie es an der Personalfront weitergeht, sei zudem auch davon abhängig, wann das 5X-Neugeschäft wieder anläuft.

Das Auslaufmodell Gaskraftwerke erhält das Zukunftsmodell Windkraft

Ob es Beschäftigten an den Kragen geht, bleibt damit vorerst offen. In Deutschland, wo insgesamt 26 000 von weltweit 96 000 Beschäftigten für Siemens Energy arbeiten, gibt es keine Fabriken für Onshore-Turbinen. Vor allem in Spanien, wo das Geschäft bei der erst jüngst vollständig übernommenen Krisentocher Siemens Gamesa angesiedelt ist, sieht das ganz anders aus. Dort wurden vor kurzem schon viele Stellen gestrichen.

Damit bleibt vorläufiger Fakt, dass das eigentlich als Auslaufmodell geltende Geschäft mit Gaskraftwerken neben dem für Stromübertragungsnetze dasjenige ist, das das vermeintliche Zukunftsgeschäft Windenergie derzeit am Leben erhält. Bruch räumt das unumwunden ein. Die zwölf Milliarden Euro Garantien, die sein Konzern soeben unter maßgeblicher Beteiligung des Bundes erhalten hat, sind auch für diese fossilen und Netzgeschäfte gedacht. So gesehen muss Siemens Energy die Energiewende erst einmal im eigenen Haus vollziehen. Nach Lage der Dinge wird das noch ein längerer und mühsamer Weg.