Konstruktionsmängel in Windkraftanlagen vermasseln Siemens Energy die Quartalszahlen – nicht zum ersten Mal. Foto: Siemens AG/Paul Langrock Agentur Zenit

Der Energietechnikkonzern erwartet 4,5 Milliarden Euro Jahresverlust. Verantwortlich ist das Windgeschäft. Wann es je wieder profitabel wird, bleibt zudem offen.

Energieerzeugung steht gerade hoch im Kurs. „Unser Marktumfeld ist sehr positiv“, sagt Christian Bruch. Um gut die Hälfte auf 14,9 Milliarden Euro seien die Auftragseingänge im Ende Juni abgelaufenen vierten Geschäftsquartal gestiegen, was den Auftragsbestand auf den Rekordwert von 109 Milliarden Euro gehievt hat, erklärt der Chef des Energietechnikkonzerns Siemens Energy. Als Zukunftstechnologie geltende Windkraftanlagen der spanischen Tochter Siemens Gamesa trügen einen guten Teil zur glänzenden Auftragslage bei. Dann folgt die Schreckensnachricht.

Ein Debakel mit gleich mehreren Baustellen

Siemens Energy wird vor allem wegen des Windgeschäfts im laufenden Geschäftsjahr 2022/23 – zum 30. September – rund 4,5 Milliarden Euro Verlust einfahren. Wann wieder Gewinne möglich sind, wagt Bruch zudem nicht einzuschätzen.

Das Debakel mit gleich mehreren Baustellen genauer zu erklären, übernimmt Siemens Gamesa-Chef Jochen Eickholt. Der größte Brocken entfällt auf Konstruktionsmängel der neuen Windturbinengenerationen 4X und 5X, von denen bislang insgesamt rund 3000 Stück im Einsatz sind. Aber sie sind die Zukunft des Geschäfts. Es gebe Unebenheiten auf Rotorblättern und fehlerhafte Läger, was künftig im Betrieb zu Ausfällen führen kann, erklärt der Sanierungsexperte. Allein das zu reparieren koste rund 1,6 Milliarden Euro.

Die zweite Großbaustelle betrifft Windanlagen auf See. Zum einen klappe der Hochlauf der Produktion in dem Bereich nicht wie geplant, weil man nicht genug Personal finde und auch der Ausbau der Kapazitäten stockt, gesteht Eickholt. Siemens Energy könne deshalb in einigen Fällen nicht vertragsgemäß liefern, was Geld kostet. Noch schlimmer ist aber, dass in Vorjahren Aufträge für Windkraftanlagen an Land zu Fixpreisen angenommen wurden, die bei jetzt hoher Inflation und dadurch stark steigenden Kosten zu Verlustgeschäften werden. Weitere 600 Millionen Euro müssen dafür zurückgestellt werden. „Wir haben zu optimistisch kalkuliert“, benennt Eickholt einen kapitalen Managementfehler.

Ein Defizit bis Geschäftsjahresende von 4,5 Milliarden Euro

Zusätzliche 700 Millionen Euro muss Siemens Energy im laufenden Geschäftsjahr steuerlich abschreiben, weil Verlustvorträge mangels Gewinn auf unabsehbare Zeit nicht genutzt werden können. Dazu kommen schon im ersten und zweiten Quartal 2022/23 bekannt gegebene Verluste . Alles zusammen summiert sich bis Geschäftsjahresende auf ein Defizit von 4,5 Milliarden Euro.

Mit Lieferanten fehlerhafter Komponenten laufen Gespräche über Entschädigung. Wie hoch die einmal sein könnten, bleibt aber offen. Neue Lieferanten sollen nun sofort dafür sorgen, dass neue Windkraftanlagen keine Qualitätsmängel mehr haben. Das ist aber auch mit Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen verbunden, weil sich das hoch bezahlen lässt, wer nun schnell liefern soll.

Aus dieser Konstellation ergibt sich, dass Bruch und Eickholt nicht weiter als bis zum Ende des Geschäftsjahres am 30. September blicken können. Ob es 2023/24 wieder eine Chance auf schwarze Zahlen gibt oder wann überhaupt, wollen sie jedenfalls derzeit nicht abschätzen. Über die Zukunft könne man erst Ende November seriös Auskunft geben, vertröstet Bruch. Klar ist aber, dass das Gros der Reparaturkosten für die Windkraftanlagen an Land erst 2024 und 2025 anfallen. Auch der Mittelabfluss für Verlustaufträge verteilt sich über die nächsten Jahre, was absehbar nichts Gutes erwarten lässt.

Neue negative Überraschungen sind in Zukunft nicht ausgeschlossen

„Wir haben im Windgeschäft einen massiven Rückschlag erlitten“, bilanziert Bruch das Debakel. Sein Konzern habe aber die finanzielle Basis, um es zu sanieren. Gut neun Milliarden Euro stehen dafür an flüssigen Mitteln und offenen Kreditlinien zur Verfügung. Eine neue Strategie, die Bruch ebenfalls für November ankündigt, dürfte damit eher nicht in einer Trennung von Teilen des Geschäfts münden. Wahrscheinlicher ist schon, dass sein Haus die Annahme von Bestellungen drosseln muss. „Wir schauen selektiv auf neue Aufträge“, sagt Bruch. Priorität habe Qualität und Profitabilität vor Wachstum, stellt er klar. Für die Energiewende, die EU-weit einen jährlichen Zubau von 30 Gigawatt Windenergie erfordert, ist das keine gute Nachricht, wenn ein Großlieferant auf die Bremse tritt.

Liegen aber jetzt wenigstens für Siemens Energy alle Probleme und Belastungen auf dem Tisch? Immerhin hat der Konzern acht Quartale in Folge seine Prognosen nach unten korrigiert. „Ganz risikofrei kann unser Geschäft nicht sein“, sagt Eickholt mit Blick auf die Zukunft nebulös. Neue Negativüberraschungen sind nicht ausgeschlossen, soll das heißen.

Problemtochter

Problemturbinen
Rund 63 000 Windturbinen aller Art haben Siemens Energy und ihre spanische Problemtochter Siemens Gamesa in Windparks rund um den Globus laufen. Da klingt die Anzahl von maximal 3000 potenziell betroffenen Problemturbinen der Generationen 4X und 5X erst einmal überschaubar. Zumal nur ein nicht genau bezifferter Anteil von ihnen fehleranfällige Bauteile aufweist. Aber damit ist die neueste Technologie betroffen, mit der bestehende Aufträge abgearbeitet werden. Das macht das Problem zu einem fundamentalen.

Prüfungen
Mit Verlustaufträgen und Verzögerungen beim Hochlauf der Produktionskapazitäten gibt es aber noch zwei andere Baustellen, die die jüngst beschlossene Komplettübernahme der spanischen Problemtochter Siemens Gamesa in den Fokus rücken. Bei solchen Gelegenheiten wird das Übernahmeobjekt nämlich genau geprüft. Gravierende Mängel wie jetzt sollten dabei eigentlich entdeckt werden, wenn sie nicht mit krimineller Absicht verschleiert werden. Aber bei den Prüfungen zur Übernahme ist alles sauber gelaufen, erklärt Siemens Energy jetzt.