Das Spitzen-Duo Katha Schulze und Ludwig Hartmann wurde bei einem Wahlkampf-Auftritt mit einem Stein beworfen. Foto: dpa/Peter Kneffel

Die Polizei registriert immer mehr Angriffe auf Politiker – am meisten auf solche der Grünen. Das spüren Parteimitglieder besonders beim Wahlkampf in Bayern.

Der Stein landete mitten auf der Bühne – genau zwischen Katha Schulze und Ludwig Hartmann, den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im bayerischen Landtag. Sie sind das Spitzen-Duo für die Landtagswahlen in Bayern. Offenbar ein riskanter Job, wie der Vorfall bei einem Wahlkampf-Auftritt im September in Neu-Ulm zeigt.

Im bayerischen Wahlkampf lässt sich beobachten, was seit einigen Jahren erkennbar ist: Es gibt immer mehr Angriffe auf Parteien, gegen ihre Büros und Politiker. Das geht von Schmierereien und Sachbeschädigung bis hin zu Steinwürfen und Mord, wie der Fall des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) zeigt. In dieser Woche sagte AfD-Chefin Alice Weidel Auftritte ab, weil es angeblich Anschlagspläne gegeben habe, außerdem wird ein Vorfall um ihren Kollegen Tino Chrupalla geprüft.

Besonders viele Übergriffe gegen Grüne

Betrachtet man Zahlen, fällt aber auf, dass meist eine andere Partei von Übergriffen betroffen ist: 301 Angriffe auf Parteirepräsentanten und -mitglieder der Grünen zählte die Polizei im ersten Halbjahr 2023 – gut 40 Prozent aller Fälle. Zum Vergleich: Gegen die AfD wurden 121 Angriffe erfasst. Das geht aus der Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage der AfD hervor. Von vielen Grünen ist zu hören, dass sie den Wahlkampf in Bayern dieses Jahr als bedrohlich erleben. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wurde kürzlich massiv angefeindet, als er gemeinsam mit Schulze in Bayern auftrat.

Dass die Stimmung aggressiver ist, berichtet auch Ekin Deligöz, Parlamentarische Staatssekretärin im Familienministerium und seit 1998 als Abgeordnete aus Neu-Ulm für die Grünen im Bundestag. Sie erzählt von Menschen, die schimpfen oder schreien. Von welchen, die an den Wahlkampfstand kommen, um ihr zu sagen: „Ihr seid doch selbst schuld, wenn ihr eine Behinderte und eine Ausländerin hier aufstellt.“ Für die Grünen in Neu-Ulm treten eine gehörlose Frau und eine mit Migrationshintergrund an. „Das ist unverhüllter Hass, der mir hier begegnet“, sagt Deligöz.

„Richtige Hassmusik“

An eine Erfahrung erinnert sie sich besonders: Im August luden die Grünen in Kempten zum Yoga im Hofgarten ein, ein paar andere Leute machten mit. Dann sei eine junge Frau mit einem Lautsprecher vorbeigekommen, aus dem Musik dröhnte. „Richtige Hassmusik war das, mit rechten Texten“, sagt Deligöz. Die Frau habe sich geweigert, den Ton herunterzudrehen. Viele Menschen hätten die Yogastunde abgebrochen, nur die Parteimitglieder hätten weitergemacht.

Für Deligöz selbst ist es nicht neu, beleidigt oder bedroht zu werden, sagt sie. „Das ist mir schon immer passiert, ich habe einen Migrationshintergrund.“ Dass ihre Wahlplakate mit Hakenkreuzen beschmiert werden, kenne sie von früher. „Neu ist, dass es jetzt auch weiße Parteimitglieder trifft.“ Wie der Steinwurf auf Schulze und Hartmann.

Mehr Sicherheitsvorkehrungen

Die Bundesvorsitzenden der Grünen, Ricarda Lang und Omid Nouripour, werden inzwischen öfter vom Bundeskriminalamt begleitet. Emily Büning, Politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen, kann bestätigen, dass die Partei mehr Angriffe auf ihre Mitglieder und die Büros wahrnimmt. „Wir haben seit dem Bundestagswahlkampf 2021 umfangreichere Sicherheitskonzepte bei unseren Veranstaltungen eingeführt und arbeiten an Präventionskonzepten und Angeboten für den Umgang und die Nachsorge solcher Angriffe.“

Dass sich etwas verändert hat, bemerkt auch der ehemalige Fraktionschef Anton Hofreiter, der heute Vorsitzender des Europa-Ausschusses ist. „Mir begegnen viele Leute, die an Verschwörungsmythen glauben“, sagt Hofreiter. „Es gibt wirklich Leute, die glauben, die EU wolle sie zum Insektenessen zwingen.“ Manchmal falle denen im Gespräch mit ihm dann selbst auf, was das für Unsinn sei. „Aber manche sind schon in eine Parallelwelt abgedriftet.“

Verschwörungsmythen im Bierzelt

Hofreiter sagt, das liege auch daran, wie andere den Wahlkampf führten. Es sei ein großes Problem, dass sich sowohl Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als auch sein Stellvertreter Hubertus Aiwanger (Freie Wähler) nicht an die Trennlinie zum Rechtspopulismus hielten. „Wenn Markus Söder in Bierzeltreden von der Genderpflicht, der Zwangsveganisierung oder vom Insektenessen redet, trägt er dazu bei, dass die Leute das glauben“, sagt Hofreiter. „Dabei ist das einfach gelogen. Söder weiß selbst, dass das nicht stimmt.“

Am Sonntag wird gewählt, dann ist der Wahlkampf erstmal vorbei. Im kommenden Jahr stehen aber wieder Landtagswahlen an: in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.