Der Abhol-Streik Schorndorfer Eltern hat 2023 ein Schlaglicht auf die Öffnungszeiten im vermeintlichen Ganztagsbetrieb geworfen. Für Berufstätige sind die Schlusszeiten von Kitas oft kaum zu schaffen. Kommunen verteidigen die Reduzierung des Angebots.
Es könnte ein paar Entscheidungen geben, mit denen Schorndorfs Rathauschef Bernd Hornikel sich und seine Stadt lieber im Mittelpunkt des Interesses gesehen hätte. Den erklärten Willen zu einer blechfreien Innenstadt zum Beispiel und den in Geschäftswelt und Lokalpolitik hart umkämpften Beschluss, den unteren Marktplatz zu einer autofreien Zone zu erklären. Das wäre eine Meldung nach dem Geschmack des Oberbürgermeisters gewesen, wie die fünf an großen Verkehrsachsen aufgestellten Hinweistafeln, dass es sich bei Schorndorf seit knapp zehn Jahren um eine „Fairtrade-Town“ handelt.
Doch eine über die Region Stuttgart hinausgehende Aufmerksamkeit wurde der Daimlerstadt im zu Ende gehenden Jahr ausgerechnet bei einem Thema zuteil, bei dem es aus Sicht der Verwaltung mindestens so viel Schatten wie Licht gibt. Die Rede ist vom Streit um die Kinderbetreuung, genauer um die nicht nur von der personellen Ausstattung, sondern stark auch von krankheitsbedingten Fehlzeiten abhängigen Öffnungsstunden der städtischen Tagesstätten.
Der Oberbürgermeister sah die Nähe zur Nötigung erreicht
Die von der Stadt als Notmaßnahme verhängte Reduzierung der Betreuungszeiten quittierten Teile der Elternschaft mit einem Abhol-Streik, der Nachwuchs wurde als Druckmittel eingesetzt. Gezielt wurden aus Protest die Schlusszeiten der Kindertagesstätten überzogen, reihenweise warteten Sprösslinge vergeblich auf Mama oder Papa, wenn sie am späteren Nachmittag aus dem Hort geholt werden sollten.
Um wenige Einzelfälle handelte es sich bei der notorischen Überziehung der Schlusszeiten offenbar nicht, in einigen Einrichtungen blieb teilweise mehr als die Hälfte der abholbereiten Kinder stehen. Und das Schorndorfer Rathaus hatte mit dem aus dem Ruder laufenden Betreuungsthema quasi über Nacht ein schier unlösbares Problem an der Backe. „Was wir hier erleben, grenzt an Nötigung“, sagte der entrüstete Oberbürgermeister Bernd Hornikel.
An ausnahmsweise auf dem Weg vom Arbeitsplatz zur Kita im Berufsverkehr im Stau steckende Eltern glaubte im Rathaus jedenfalls keiner. Begonnen hatte die Serie der täglich auftretenden Abholprobleme schließlich punktgenau mit dem Beschluss der Stadt, die Betreuungszeiten deutlich zu reduzieren. Weil pädagogisches Personal fehlt, sollte der Nachwuchs mit Beginn des neuen Kindergartenjahrs nur noch maximal 40 Stunden in der Woche betreut werden.
Wegen des fehlenden Personals gibt es höchstens noch 40 Stunden Betreuung
Der Plan der Stadt: Statt wie einst schon um 7 Uhr sollten sich die Türen des Horts erst um 7.30 Uhr öffnen. Am Nachmittag war in Schorndorf auch in den als Ganztagsangebot beworbenen Einrichtungen 15.30 Uhr als Schluss vorgesehen. Aus Sicht der Elternschaft bedeutete das einen gewaltigen Rückschritt: Zuvor konnten Kinder schließlich teilweise bis 17 Uhr abgeholt werden. Für viele berufstätige Eltern bedeutete die vom Schorndorfer Gemeinderat mit einer großen Mehrheit beschlossene Verkürzung einen massiven Einschnitt in ihren Alltag. Die geplante „Schmalspur-Kita“ löste schon im Vorfeld geharnischten Protest aus, in Beschwerdebriefen und Facebook-Posts wurde der Stadt wegen angeblich „feindseligen Umgangs mit unseren Kindern“ ein Exodus junger Familien vorhergesagt. Wer nicht direkt neben der Kindertagesstätte arbeite, schaffe es mit Blick auf Wegezeit und Pausen selbst bei einer Zehn-Stunden-Betreuung kaum, einen Vollzeitjob zu machen. „Schorndorf zwingt betroffene Eltern,ihre Arbeitsstunden zu reduzieren und beim Einkommen erhebliche Verluste in Kauf zu nehmen“, drückte es ein Wortführer der Eltern aus – und betonte, dass Familien in einer Zeit mit explodierenden Preisen für Energie und Lebensmittel jeden Euro bräuchten.
Eltern, die ihre Kinder nicht pünktlich abholen, droht eine Abmahnung
Den Verweis der Stadt auf die extrem angespannte Personallage ließen die Eltern jedenfalls nicht gelten – auch wenn der Erste Bürgermeister Thorsten Englert eindringlich vom Mangel an Fachkräften sprach. „Auf eine Gruppe mit 50-Stunden-Öffnungszeit hat niemand Lust, wir finden keine Kräfte“, sagte er. Fürs erzieherische Personal war der schwelende Streit mit Teilen der Elternschaft nicht nur mit Überstunden verbunden, das Thema stellte auch atmosphärisch eine Belastungsprobe dar.
Um die Eltern zur Vernunft zu bringen, packte das Schorndorfer Rathaus im Mai die ordnungsrechtliche Peitsche aus: Wird ein Kind mehr als zehn Minuten nach Ende der Betreuungszeit nicht abgeholt, kann die Einrichtung seither eine Abmahnung aussprechen. Bei drei Abmahnungen binnen eines Kita-Jahres wird das Kind für einen Tag vom Besuch ausgeschlossen. Beim vierten Wiederholungsfall kann die Stadt das Betreuungsverhältnis mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende auch beenden – dem Kind wird im Hort sozusagen der Stuhl vor die Tür gesetzt.
Angewendet werden musste die neue Verordnung letztlich nicht, für den Rems-Murr-Kreis war eine derart drastische Drohung dennoch eine Premiere. Bisher hatte keine der 31 Kommunen eine ähnliche Regelung umgesetzt – auch wenn die Verlässlichkeit bei der Betreuung nicht nur in Schorndorf einen Streitpunkt darstellt. In Ludwigsburg müssen Eltern, die ihre Kinder wiederholt nicht rechtzeitig aus städtischen Kitas abholen, 30 Euro pro halbe Stunde Verspätung berappen. Die Stadt Stuttgart hat keinen entsprechenden Passus in ihrer Benutzungsordnung für die Kindertagesstätten, freie Träger aber verlangen bei wiederholter Überschreitung durchaus einen Obolus.
In den Hintergrund geraten ist durch den Streit um die Abholzeiten freilich die Frage, ob eine pünktlich um 15.30 Uhr schließende Kindertagesstätte noch in die Lebenswirklichkeit einer Familie passt. Mit dem werbewirksamen Wort vom „Ganztagsbetrieb“ jedenfalls haben solche Abholzeiten wenig zu tun, für berufstätige Eltern sind sie im Alltag nur mit größter Mühe zu schaffen.
Schlagzeilen im Februar 2023
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