Kürzere Öffnungszeiten bringen Eltern und Kitas in die Bredouille. Foto: dpa/Skolimowska

Wegen der Reduzierung der Öffnungszeiten in Kindertagesstätten überziehen Eltern in Schorndorf gleich reihenweise die Schließzeiten. Jetzt droht die Stadt mit harten Konsequenzen – für Kinder und Eltern.

Der Protest der Elternschaft gegen die Reduzierung der Öffnungszeiten in den städtischen Kindertagesstätten treibt in Schorndorf bemerkenswerte Blüten. Gleich reihenweise warten Kinder vergeblich auf Mama oder Papa, wenn sie am späteren Nachmittag aus dem Hort abgeholt werden sollen. Um Einzelfälle handelt es sich bei der notorischen Überziehung der Schlusszeiten offenbar nicht, teilweise bleibt mehr als die Hälfte der abholbereiten Sprösslinge stehen. „Was wir hier erleben, grenzt an Nötigung“, sagt der seit einem Jahr amtierende Schorndorfer Oberbürgermeister Bernd Hornikel.

An ausnahmsweise auf dem Weg von ihrem Arbeitsplatz zur Kindertagesstätte im Berufsverkehr im Stau steckende Eltern glaubt im Schorndorfer Rathaus niemand. Denn begonnen hat die Serie der inzwischen täglich auftretenden Abholprobleme mit der Entscheidung der Stadt, die bisher gültigen Betreuungszeiten deutlich zu reduzieren. Weil pädagogisches Personal fehlt, wird der Nachwuchs in städtischen Einrichtungen mit Beginn des neuen Kindergartenjahrs im September nur noch maximal 40 Stunden in der Woche betreut. Statt wie bisher um 7 Uhr öffnen sich die Türen des Horts erst um 7.30 Uhr. Am Nachmittag ist in Schorndorf künftig auch in als Ganztagsangebot laufenden Einrichtungen bereits um 15.30 Uhr Schluss. Bisher können Kinder teilweise bis 17 Uhr aus der Betreuung abgeholt werden.

Die „Schmalspur-Kita“ löste schon im Dezember massive Proteste aus

Für viele berufstätige Eltern bedeutet die bereits im Dezember vom Gemeinderat mit großer Mehrheit beschlossene Verkürzung einen massiven Einschnitt in ihren Alltag. Die geplante „Schmalspur-Kita“ löste in der Daimlerstadt schon im Vorfeld geharnischte Proteste aus, gleich mehrfach musste der OB gut zwei Dutzend aufgebrachte Eltern wegen lautstarker Unmutsäußerungen in der entscheidenden Sitzung zur Ordnung rufen.

Was die Eltern auf die Barrikaden treibt, ist nicht nur die generelle Verkürzung der Öffnungszeiten. Berufstätige ärgert, dass es in Schorndorf schon jetzt an der Verlässlichkeit der Betreuung hapert. Wegen des hohen Krankenstands bei den Erzieherinnen (statt der kalkulierten Ausfallquote von acht Prozent meldeten sich vergangenes Jahr im Durchschnitt 20 Prozent der Kräfte ab) war schon im Januar in drei Einrichtungen früher Schluss – Monate vor der Neuregelung.

Der Daimlerstadt wird ein Verlust an jungen Familien vorausgesagt

In Protestbriefen und Facebook-Posts wurde der Stadt wegen des angeblich „feindseligen Umgangs mit unseren Kindern“ ein Exodus junger Familien vorhergesagt. Denn wer nicht direkt neben der Kindertagesstätte arbeite, schaffe es mit Blick auf Wegezeit und Pausen selbst bei einer Zehn-Stunden-Betreuung kaum, einen Vollzeitjob zu machen. „Schorndorf zwingt betroffene Eltern, ihre Arbeitsstunden zu reduzieren und beim Einkommen erhebliche Verluste in Kauf zu nehmen“, drückte es ein Wortführer der Eltern aus – und betonte, dass die Familien in einer Zeit mit explodierenden Preisen für Energie und Lebensmittel jeden Euro bräuchten.

Den Verweis der Stadt auf die extrem angespannte Personallage lassen die Eltern jedenfalls nicht gelten – auch wenn der in Schorndorf für den Sozialbereich zuständige Erste Bürgermeister Thorsten Englert bei jeder sich bietenden Gelegenheit vom Mangel an Fachkräften spricht. „Auf eine Gruppe mit 50-Stunden-Öffnungszeit hat niemand Lust, wir finden da keine Kräfte“, sagt er.

Ein Vorgeschmack auf das, was Schorndorf im neuen Kindergartenjahr droht

Der aktuelle Abholstreik könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was der Kommune im September bei der generellen Verkürzung der Öffnungszeit droht. Fürs erzieherische Personal ist der schwelende Streit mit Teilen der Elternschaft nicht nur mit Überstunden verbunden, auch atmosphärisch stellt das Thema eine Belastungsprobe dar. Selbst der Feierabend hängt von der Trotzreaktion der Eltern ab. „Wir können die Kinder ja schlecht von einer Polizeistreife nach Hause bringen lassen“, verteidigt OB Hornikel, weshalb er für die betroffenen Erzieherinnen im Januar die Pflicht zu Überstunden angeordnet hat.

Um die Eltern zur Vernunft zu bringen, packt das Schorndorfer Rathaus allerdings bereits jetzt die ordnungsrechtliche Peitsche aus: Wird ein Kind mehr als zehn Minuten nach dem Ende der Betreuungszeit nicht abgeholt, kann die Einrichtung eine Abmahnung aussprechen. Bei drei Abmahnungen binnen eines Kita-Jahres, das hat der Gemeinderat am Donnerstag mit großer Einmütigkeit abgesegnet, wird das Kind für einen Tag vom Besuch der Tagesstätte ausgeschlossen. Und: Beim vierten Wiederholungsfall kann die Stadt das Betreuungsverhältnis mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende auch beenden – dem Kind wird in der Tagesstätte sozusagen der Stuhl vor die Tür gesetzt.

Für den Rems-Murr-Kreis ist eine derart drastische Drohung eine Premiere. Bisher hat noch keine der 31 Kommunen eine ähnliche Regelung umgesetzt. In Waiblingen aber war ein Ausschluss wiederholt zu spät abgeholter Kinder vor Jahren diskutiert worden. „Die seelisch-psychische Gefährdung der Kinder unserer Stadt ist mehrheitsfähig geworden“, ätzte der Elternbeiratsvorsitzende Till Becker seinerzeit. Die Stadt Stuttgart hat keinen entsprechenden Passus in ihrer Benutzungsordnung für die Kindertagesstätten, freie Träger verlangen bei wiederholter Überschreitung durchaus einen Obulus.

In Ludwigsburg müssen Eltern, die ihre Kinder wiederholt nicht rechtzeitig aus städtischen Kitas abholen, 30 Euro pro halbe Stunde Verspätung berappen. Inflationär einsetzen will die Stadt die Daumenschrauben aber nicht. Auch Leutenbach behält sich bei wiederholter Verspätung vor, eine Gebühr von 30 Euro pro angefangener halber Stunde zu erheben.

Mit der Reduzierung der Öffnungszeiten auf 15.30 Uhr fahren die Schorndorfer Eltern übrigens vergleichsweise gut. Tübingen hat am Freitag mitgeteilt, dass 50 Gruppen nur noch bis 13.15 Uhr öffnen, weil Fachkräfte fehlten. In Schorndorf gibt es 1715 Plätze in den Kindertagesstätten. Exakt 320 davon sind als Ganztagsangebot ausgewiesen. Schon jetzt sind zwölf Vollzeitstellen nicht besetzt, durch die neue Kindertagesstätte in der Uhlandstraße steigt der Personalbedarf auf mehr als 30 Erziehungskräfte an.