Quelle: Unbekannt

Altersforscher Professor Dr. med. Clemens Becker im Interview

Herr Professor Becker, was passiert im Innern unseres Körpers, wenn wir Sport treiben? Und warum tut dieser Geist und Seele gut?
Die Sauerstoffzufuhr der Zellen wird durch die Bewegung verbessert. Durch Sport verhindert man deren Abbau und fördert zugleich den Aufbau neuer Zellen. Denn ihre Lebensdauer ist begrenzt.
Fünf Prozent alle zehn Jahre – so lautet die Faustregel für den Abbau der Muskulatur, der ab dem 30. Lebensjahr einsetzt. Ab wann ist es unerlässlich, mit Sport zu beginnen, um im Alter fit zu sein?
Wenn man so will, kann man sich an Olympiasiegern orientieren. Merlene Ottey aus Jamaika beispielsweise nahm mit 45 Jahren noch an einem Endlauf über 100 Meter teil. Wer bislang nichts gemacht hat: Ab einem Alter von 45 bis spätestens 50 Jahren sollte man tatsächlich anfangen, Sport zu treiben. Der Zeitpunkt passt auch sehr gut: Viele, die zuvor durch die Kindererziehung sehr eingespannt waren, haben in dieser Phase wieder mehr Zeit, um ihren Lebensstil entsprechend zu verändern.


Wie viel Sport ist im Alter gesund und empfehlenswert?
Treibt man ein Mal in der Woche Sport, erhält man sein Niveau, das verhindert quasi den Abbau. Will man aber „mehr“ können – beispielsweise im nächsten Jahr wieder eine Bergwanderung machen, die derzeit nicht möglich ist , muss man zwei bis drei Mal in der Woche Sport treiben.


Nachlassende Leistungsfähigkeit und körperliche Beeinträchtigungen machen es für ältere Menschen mitunter schwierig, sich sportlich zu betätigen. Wie lässt sich trotzdem mehr Bewegung in den Alltag integrieren?
Reha-Sport ist in Deutschland weit verbreitet, es existieren für Menschen mit chronischen Krankheiten wie beispielsweise Parkinson oder Osteoporose sehr gute Sportangebote. Auch Bewegung im Alltag ist wichtig. Wir führen dazu in Stuttgart ein großes Projekt mit dem Titel „LiFE is LiFE“ durch. In dessen Zentrum steht die Frage, wie man ganz nebenbei seine Alltagsroutinen verändert – beispielsweise in dem man beim Zähneputzen oder nach dem Aufstehen auf einem Bein steht und beim Tischabräumen in die Knie geht.


Was würden Sie sagen: Ab wann ist jemand „alt“?
Alterungsprozesse beginnen teilweise bereits mit der Geburt. Es geht um die Frage der Regenerationsfähigkeit der Zellen, um ihre Plastizität. Und die nimmt im fortschreitenden Alter ab – auch wenn Menschen auch mit 80 oder 90 Jahren noch Zellen im Körper haben, die sich teilen und neu bilden können. Aber es gibt einfach bestimmte Einschnitte. Im Bereich Knochen und Muskulatur liegt die Spitzenleistungsfähigkeit bei 25 bis 30 Jahren. Übermäßige Ausdauerleistungen sind bis zur vierten Lebensdekade möglich. Nehmen wir als Beispiel den Gewinner des diesjährigen Ironman auf Hawaii, Jan Frodeno, der 38 Jahre alt ist. Extrem hohe geistige Leistungen hingegen kann man auch noch mit 60, 70, 80 Jahren erfüllen – denken Sie an den Maler Paul Matisse oder den Pianisten Vladimir Horowitz, der selbst mit 85 Jahren noch umjubelte Konzerte gegeben hatte.


Es gibt Forscher, die mittlerweile sogar davon ausgehen, dass der Mensch 120 Jahre alt werden kann. Unter welchen Ideal-Bedingungen ist das möglich?
Die Genetik spielt natürlich eine Rolle, aber auch das soziale Netzwerk, das um uns herum ist. Dazu gehören Familie und Freunde. Des Weiteren ist entscheidend, wie wir uns ernähren und wie wir uns bewegen. Und schließlich noch unsere geistige Regsamkeit. Dazu gehört die Frage, ob wir uns mit neuen Themen beschäftigen oder in den alten verharren. Das können digitale Herausforderungen sein oder dass man eine neue Sprache erlernt. Ich habe neulich eine ältere Dame getroffen, die mit 80 Jahren angefangen hat, Japanisch zu lernen.
Die Fragen stellte Andrea Eisenmann.