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Der VfB Stuttgart weist nach der Niederlage in Sinsheim eine erschreckende Bilanz auf. Bedenklich stimmt vor allem, in welcher Verfassung sich viele Spieler präsentieren.

StuttgartSo schlecht war der VfB Stuttgart noch nie. Fünf Punkte aus neun Bundesliga-Spielen und erst ein Sieg in zehn Pflichtpartien – das sind die Zahlen, die nach dem 0:4 bei 1899 Hoffenheim das historische Tief zu diesem Zeitpunkt dokumentieren. Natürlich kennt auch Michael Reschke die Bilanz des Schreckens, und der Manager erweitert sie sogar noch um die Tordifferenz: minus 15.

In der Summe ergibt das den geteilten letzten Tabellenplatz und eine Korrektur des Saisonziels: „Es geht nur noch darum, die Klasse zu halten“, sagt Reschke. Seine Sommerprognose, der VfB werde diesmal mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben, wurde von der Realität überholt. Was vor allem daran liegt, dass die Mannschaft viele Probleme offenbart und auch nach dem Trainerwechsel um Stabilität ringt. Gegen die Hoffenheimer hatte das viel mit der Roten Karte für Emiliano Insua zu tun (8.). Doch in der Gesamtbetrachtung gibt es ganz andere Gründe für die Krise.

Die Führungsspieler: Zieler, Badstuber, Gentner, Gomez - das ist die Mittelachse, um die sich bei den Stuttgartern das Spiel drehen soll. Das war bei Tayfun Korkut so, und auch Markus Weinzierl vertraut auf sie. „Wir übertragen ihnen viel Verantwortung, und sie müssen es auf dem Platz richten“, sagt der neue Coach. Zweimal 29 und zweimal 33 Jahre alt sind die Routiniers, erfahren und ehrgeizig. Allerdings schaffen sie es seit Wochen nicht, der Mannschaft Halt zu geben. Gerade wenn sie es am nötigsten hat. Denn das Gerüst ist klapprig, wenn es unter Druck gerät. Wie in den 13 Minuten, in denen der VfB in Hoffenheim unterging. Da gab es Defizite zu sehen, die sich seit dem verlorenen Pokalspiel in Rostock in wechselnder Besetzung durchziehen. Diesmal griff Holger Badstuber beim 0:1 nicht ein, Christian Gentner patzte vor dem 0:4, Mario Gomez hielt läuferisch nicht mit, nur Torhüter Ron-Robert Zieler spielte solide.

Insgesamt wirkt das, als ob die Führungsspieler in den vergangenen Monaten um Jahre gealtert seien. Liefen sie in der Rückrunde der Vorsaison noch zu großer Form auf und erwiesen sich mit ihrer Ruhe und Übersicht als Stabilisatoren, so scheinen sie jetzt mit dem Tempo und der Intensität der Spiele zeitweise überfordert. Was zu dem Punkt führt, ob die Stuttgarter fit genug sind, um mitzuhalten. Nur hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass unter Korkut zu wenig trainiert wurde.

Die Neuzugänge: Sechs Neuverpflichtungen nennt Michael Reschke immer, wenn es um die Sommertransfers geht. Der siebte, David Kopacz, genießt einen Sonderstatus, da der 19-Jährige als Vorgriff auf die Zukunft gilt und in der Regionalliga spielt. Doch kurzfristig musste Kopacz am Samstagvormittag nach Sinsheim fahren, da Dennis Aogo krank ausfiel. Zum Einsatz kam der Mittelfeldspieler nicht, dafür aber Hans Nunoo Sarpei – ein 20-jähriges Mittelfeldtalent, das eigentlich gar nicht mehr beim VfB sein sollte.

Doch es fand sich kein Club, der den Ghanaer ausleihen wollte, und so hat sich Sarpei zurück in den Kader gekämpft. Das spricht für ihn, zeigt aber auch, dass viele VfB-Spieler den Erwartungen hinterherhinken. Darunter alle Neuzugänge, die vor der Saison für mehr als 30 Millionen Euro verpflichtet wurden.

Der zurückgeholte Daniel Didavi, weil er schon angeschlagen kam und ausfällt. Gonzalo Castro, weil er zwar gut kicken kann, aber den nötigen Biss vermissen lässt. Marc Oliver Kempf, weil er ein wenig brauchte, um sich zurechtzufinden, und sich dann verletzte. Pablo Maffeo, weil er nicht gut trainiert und entsprechend schlecht spielt. Nicolás González, weil er gut trainiert, ihm der erlösende Treffer aber nicht gelingt. Und Borna Sosa, weil er sich erst an die rauere Bundesliga-Luft gewöhnen musste und sich dann ebenfalls verletzte. Geduld fordert Reschke deshalb ein. Er verweist auch auf die drei Ausfälle Didavi, Kempf und Sosa. Doch auf den Rängen bröckelt das Verständnis, und intern dürfte der Sportchef mehr erklären müssen als noch vor einem Jahr.

Die Perspektivspieler: In diese Kategorie gehört noch immer Benjamin Pavard (22), obwohl der Franzose als Weltmeister nach Stuttgart zurückgekehrt ist. Mit viel Herzblut tritt der Abwehrspieler auch weiter im Trikot mit dem Brustring an. Nur: An die konstant starken Leistungen der vergangenen Runde knüpft er nicht an. Ihm unterlaufen Leichtsinnsfehler wie vor dem Tor zum 0:3 gegen Dortmund, oder er verteidigt nachlässig wie vor dem 0:1 gegen Hoffenheim. Reiss Nelson bat im Strafraum zum Tänzchen – und Pavard versuchte den Schuss mit einem Ausfallschrittchen zu verhindern. „Da haben wir schlecht ausgesehen“, sagt Markus Weinzierl, da auch Holger Badstuber und Santiago Ascacibar beteiligt waren. Sie beobachteten, sie begleiteten, aber sie behinderten den Dribbler nicht. Passiver Widerstand statt aktives Verteidigen – ein Problem, das beim VfB mehr die Mentalitäts- als die Qualitätsfrage aufwirft.

„Wir haben an der Mentalität gearbeitet“, sagt Weinzierl. Gegen 1899 traten die Stuttgarter anfangs auch mit Mumm auf, vielleicht sogar mit dem größeren Siegeswillen. Im Rückblick war es jedoch erst das zweite Mal, dass dies attestiert werden kann. Zuvor nur beim 3:3 in Freiburg. Ansonsten liefen die Stuttgarter oft hinterher – weshalb sie in eine Abwärtsspirale geraten sind, die auch die Perspektivspieler erfasst hat. Außer Pavard und Ascacibar kommen Timo Baumgartl, Anastasios Donis oder Erik Thommy nicht voran.

Der Trainer: Das befürchtete Szenario nach dem Trainerwechsel ist für Markus Weinzierl eingetreten: Zwei erschütternde Niederlagen gab es zum Einstand. Der 43-Jährige will sich aber nicht aus dem Konzept bringen lassen. „Wir haben uns das natürlich anders vorgestellt“, sagt der Coach, dessen Pläne gleich zweimal früh durchkreuzt wurden. Gegen den BVB hieß es nach drei Minuten 0:1 durch Jaden Sancho, in Sinsheim trat Emiliano Insua rüde zu und musste nach der Attacke gegen Pavel Kaderabek vom Platz (8.).

Eine Aktion, die ohne Videoassistenten wohl nur mit einer Gelben Karte bedacht worden wäre, aber nach dem Studium der Fernsehbilder entschied Frank Willenborg anders. „Das war ein Schuss zu viel Aggressivität“, sagt Weinzierl über Insua. Grundsätzlich will er seine Mannschaft aber schon auf ein höheres Aktivitätslevel heben. „Ich glaube, dass wir mit elf gegen elf eine Chance gehabt hätten“, sagt der Trainer und richtet den Blick nach vorne: Am Freitag, im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt geht es wieder zur Sache.