Bis zu drei Millionen für einen Ergänzungsspieler, der in seiner dritten Profisaison auf dem Wasen Gefahr lief, zum ewigen Talent abgestempelt zu werden – kein schlechter Deal von Sportvorstand Michael Reschke, sagen die einen. Auch wenn der klamme Zweitligist aus der Hansestadt das Geld an den VfB in Raten abstottern wird.
Wie kann man nur das nächste seiner wenigen eigenen Talente verscherbeln?, entgegnen die anderen. Özcan („Der VfB wird mir immer in positiver Erinnerung bleiben“) und Timo Baumgartl wurden zuletzt immer in einem Atemzug genannt, wenn es darum ging, wem zuletzt der Sprung aus dem eigenen Nachwuchs in den Profikader geglückt war. Im Dezember 2017 wurde die Vertragsverlängerung der beiden auf der Mitgliederversammlung freudig kundgetan.
Nun besitzt der Deutschtürke aus Karlsruhe, der seit der U17 für den VfB auf Torejagd ging, nicht die Perspektiven eines Timo Werner. Der Stürmer wurde 2016 für zehn Millionen Euro nach Leipzig verkauft. Vor dem Hintergrund eines nicht gerade üppig besetzten Kaders wirft Özcans Verkauf dennoch Fragen auf. Hatten Reschke und Trainer Markus Weinzierl nicht stets betont, die Mannschaft im Kampf gegen den Abstieg auf keinen Fall schwächen zu wollen?
Auf Özcans Position im zentralen Mittelfeld fristet Daniel Didavi nun ein einsames Dasein. Hinter dessen Form und Gesundheitszustand steht bekanntlich ein großes Fragezeichen. Und Reschke lässt auch keinen Automatismus erkennen, für den Spielmacher Özcan bis 31. Januar einen adäquaten Ersatz zu verpflichten. Einer, der es schafft, die häufig in der Luft hängenden Stürmer mal mit einem überraschenden Zuspiel in Szene zu setzen.
Ist Özcans Verkauf also ein großes Wagnis? Ein Deal mit vielen Fragezeichen ist es auf alle Fälle, der sich – wie so oft in dem Geschäft – nur vorab, jedoch nicht abschließend bewerten lässt. Zumindest das sportliche Führungsduo des VfB scheint sich seiner Sache sicher, auch wenn Reschke am Donnerstag von einer „schweren Entscheidung“ sprach.
Er und Weinzierl glauben auf den 20-Jährigen in der Rückrunde verzichten zu können. Weil der harte Existenzkampf in der Bundesliga nicht als geeignete Bühne erscheint, die Özcan den ersehnten Durchbruch verspricht. Und weil Weinzierl keine halben Sachen mehr duldet. Dazu gehören Spieler wie Özcan, die einen Abgang vom VfB schon länger mit sich herumtragen. Eigengewächs hin oder her.
Weinzierl greift durch
Ohne Rücksicht auf Verluste greift der Coach vor dem Auswärtsspiel am Sonntag (15.30 Uhr) beim FC Bayern München durch. Am Donnerstag bekam Chadrac Akolo einen verbalen Tritt in den Hintern verpasst: „Chadrac ist ein Spieler, der Potenzial hat, der aber noch mehr leisten kann. Auch im Training.“ Was nicht nach einer Empfehlung für einen baldigen Platz in der ersten Elf klingt. Sondern eher nach Tribüne.
Auch bei Pablo Maffeo nimmt Weinzierl kein Blatt mehr vor den Mund. „Bei ihm haben wir genau hingesehen. Wir müssen individuelle Maßnahmen ergreifen, deswegen hat er in den letzten Tagen auch nicht mit der Mannschaft trainiert“, kommentierte der 44-Jährige Maffeos Sololäufe um den Trainingsplatz. Sollte sich bis zum Ende der Wechselfrist noch ein Abnehmer für den Verteidiger finden (Betis Sevilla wird Interesse nachgesagt), wird Weinzierl auch ihm den Weg nicht verbauen.
Weinzierl hat nur den Weg des VfB im Blick. Auch wenn so mancher dabei auf der Strecke bleibt.
Sorgen um Baumgartl
Der VfB Stuttgart bangt vor dem Auswärtsspiel beim FC Bayern München um den Einsatz von Abwehrspieler
Als Alternative für die Verteidigung käme für die Partie am Sonntag Winter-Neuzugang
Der VfB steht mit 14 Punkten momentan auf dem Relegationsrang und reist mit Abstiegssorgen zum deutschen Fußball-Rekordmeister. „Man kann auch in München punkten“, sagte Weinzierl. „Ein Unentschieden wäre ein Erfolg.“