Wolfgang Dietrich Foto: Archivbild dpa - Archivbild dpa

Am Montag ist Wolfgang Dietrich genau ein Jahr Präsident des VfB Stuttgart. Mit ihm ist der Verein in die Bundesliga aufgestiegen, hat sich von der Fußball-Abteilung verabschiedet - und auch von Sportvorstand Jan Schindelmeiser.

Stuttgart (dpa/lsw) - Das Bild vom größten Erfolg fehlt noch. Nach einem Jahr im Amt möchte Wolfgang Dietrich im Präsidenten-Büro des VfB Stuttgart eine Fotografie der voll besetzten Haupttribüne in der Mercedes-Benz Arena aufhängen. Aufgenommen aus seiner Perspektive am Tag der außerordentlichen Mitgliederversammlung im Juni, als nach monatelangen intensiven Debatten eine überraschend große Mehrheit von 84,2 Prozent für die Ausgliederung der Fußballer in eine VfB-AG stimmte. „Das war ein besonderer Moment“, sagt Dietrich. „Darauf bin ich schon stolz, dass wir das hinbekommen haben.“
In dieses „wir“ eingeschlossen ist auch Jan Schindelmeiser. Wo Dietrich mit Leidenschaft für die Ausgliederung und die damit verbundenen 41,5 Millionen Euro von Hauptinvestor Daimler als erste Tranche warb, punktete sein Kollege im Vorstand bei den Mitgliedern mit seiner nüchternen Art. Wie Schindelmeiser den Absteiger in der Zweitliga-Saison in der Öffentlichkeit repräsentierte, dass er nach dem Aus von Jos Luhukay den bis dahin weitgehend unbekannten Trainer Hannes Wolf aus der Dortmunder Jugend auf die Bank der VfB-Profis setzte und fast ausschließlich junge Spieler verpflichtet hatte - all das stärkte das Vertrauen der Fans in die Vereinsführung auf eine Art, wie es sie bei den Schwaben jahrelang nicht mehr gegeben hatte.
Darüber, wie die Daimler-Millionen eingesetzt werden, kann Schindelmeiser aber nicht mehr mitbestimmen - der Verein hat ihn Anfang August freigestellt. Zu den Gründen will sich Dietrich auch mit dem Abstand mehrerer Wochen nicht äußern und verweist auf den einstimmigen Beschluss aller Gremien. „Ich erkläre das nicht weiter. Da werden Sie auf Granit beißen“, antwortet der 69-Jährige auf Fragen, warum der bei vielen VfB-Mitarbeitern sehr geschätzte Manager das Vertrauen des Aufsichtsrats, dessen Boss Dietrich seit der Ausgliederung ist, verloren hat. „Es ging nicht um Dinge, die gemacht worden sind. Es ging auch um Dinge, die nicht gemacht worden sind.“
Dietrich ist das Thema leid. Aus Unverständnis über die Fragen wird er lauter und bewegt sich viel auf seinem Stuhl im Präsidenten-Büro, ohne dabei allerdings so aufbrausend zu sein, wie ihm das manchmal unterstellt wird. „Das ist auch für mich eine Niederlage. Ich bin ja mit dem Ziel angetreten, über die vier Jahre mit dem damaligen Vorstand zu arbeiten“, sagt er und will dann nicht mehr darüber reden.
Bei seiner Wahl zum Präsidenten vor einem Jahr bekommt Dietrich 57,2 Prozent der Stimmen. Kein Vergleich zu den 97,4 Prozent für seinen Vorgänger Bernd Wahler, der dennoch gänzlich glücklos blieb und nach dem Abstieg zurücktrat. Das Ergebnis, betonte Dietrich damals, sei ihm egal - so lange er mit mehr Stimmen entlastet werde. Vor seinem Jubiläum im Amt verweist er darauf, damit das Ende seiner Präsidentschaft gemeint zu haben. Nicht etwa die Entlastung des Vorstandes bei der Mitgliederversammlung am 6. Dezember, die auch die ersten drei Monate seiner Zeit betrifft.
Dass der Freund der Brüder Uli und Dieter Hoeneß überhaupt gewählt worden ist, war schon ein großer Erfolg. Zu umstritten war der Familienvater, der seit seiner Zeit als Sprecher für das Bahnprojekt Stuttgart 21 eine in Baden-Württemberg polarisierende Person ist.
Zudem kritisierten seine Gegner seine Beteiligung am Unternehmen Quattrex, das als Investor zahlreicher Fußballclubs auch die direkte Zweitliga-Konkurrenz des VfB mitfinanzierte. Doch genau darum waren Aufsichtsrat und Vorstand für ihren einzigen Kandidaten. „Wir haben uns nicht trotz der Verwicklungen und Geschäfte, die Wolfgang Dietrich im Fußball gemacht hat, für ihn entschieden, sondern genau deswegen“, sagte Marketingvorstand Jochen Röttgermann vor der Wahl.
Daimler-Personalvorstand und VfB-Aufsichtsrat Wilfried Porth sagt: „Die vergangenen zwölf Monate waren durchweg geprägt von dem Vertrauen, dass er der richtige Mann an der richtigen Stelle ist.“ Mit Dietrich habe man „einen absolut professionellen und leidenschaftlichen Präsidenten bekommen, der uns die Dinge geordnet hat, die wir geordnet haben wollten“.
Gänzlich vorbereitet auf seinen Job als Präsident war er aber nicht. „Diesen emotionalen Teil, das Innere, das kann ich nur schwer managen. Damit muss ich lernen, umzugehen.“ Niederlagen beschäftigen den Mann, den Mitarbeiter des VfB als konsequent, machtbewusst, berechnend, einnehmend und fleißig beschreiben, noch immer so, wie in seinen 42 Jahren zuvor als einfaches Mitglied.
Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, seit Juli wie Dietrich und Bernd Gaiser Mitglied des dreiköpfigen VfB-Präsidiums, sieht die Leidenschaft seines Präsidenten als Inspiration, aber auch ein wenig kritisch. „Ich wünsche ihm, dass er auch mal ein bisschen durchschnaufen kann“, sagt der 35-Jährige.
Insgesamt 24,9 Prozent der Anteile an der VfB-AG können die Schwaben ohne weitere Zustimmung ihrer Mitglieder verkaufen, 100 Millionen Euro sollen dadurch eingenommen werden. Mit diesem Geld will der VfB den Rückstand auf die Schwergewichte in der Bundesliga verkleinern - wirtschaftlich und sportlich. „Wir wollen in einigen Jahren ins erste Drittel. Dazu stehe ich“, sagt Dietrich. In einem Interview der „Sport Bild“ sagte er im Juli über die VfB-Perspektive für in fünf Jahren: „Mein Traum ist, dass wir uns dann im oberen Drittel der Tabelle etabliert haben und bestenfalls nur zwei Vereine größer sind als wir. Der eine sitzt im Süden, der andere im Westen.“
Zuständig für den sportlichen Bereich ist seit Anfang August Michael Reschke, der zuvor als Kaderplaner im Hintergrund für den FC Bayern München und Bayer Leverkusen arbeitete. „Für den Erfolg eines Vereins entscheidend ist eine kurz-, mittel- und langfristige Kaderplanung. Das steht im Vordergrund. Da haben wir mit Michael Reschke den besten Mann gefunden, den man dafür finden kann“, urteilt Dietrich.
Auf die Frage, ob Schindelmeiser gehen musste, weil Reschke verfügbar war, antwortet er am runden Glastisch in seinem Büro: „Ich wäre auf die Idee, jemanden zu suchen, gar nicht gekommen, wenn das Vertrauen noch da gewesen wäre.“ 64 Tage nach dem Beschluss zur Ausgliederung hatte der VfB Stuttgart die Trennung von Jan Schindelmeiser bekanntgegeben.