Warum Jugendliche ausreißen, hat viele Gründe: Meistens sind die Probleme jedoch innerhalb der Familie zu finden. Foto: PK289/Fotolia Quelle: Unbekannt

Von Janey Olbort

Stuttgart - Vor einem Jahr verbrachte Andrea die meiste Zeit im Park. Zuhause schlief die 16-Jährige nur, wenn es bitterkalt war oder in Strömen geregnet hat. Sie wohnte eigentlich bei ihrer Mutter. Doch die beiden hatten kein gutes Verhältnis: Ihre Eltern, die heute getrennt sind, waren drogenabhängig, deshalb lebte sie seit ihrem achten Lebensjahr bei Pflegefamilien oder in Wohngruppen. Heute hat ihre Mutter die Sucht zwar überwunden, leidet jedoch unter Depressionen. Weil die Situation zuhause für Andrea unerträglich war, zog sie die Straße der gemeinsamen Wohnung mit ihrer Mutter vor.

„Die Drogenabhängigkeit der Eltern und die Tatsache, dass sie ihr kein sicheres Zuhause bieten konnten, war der Beginn ihrer Straßenkarriere“, sagt Jasmin Kaiser vom Schlupfwinkel, einer Anlaufstelle für obdachlose Kinder und Jugendliche, die von der Evangelischen Gesellschaft und der Caritas unterhalten wird. In die Einrichtung in der Stuttgarter Innenstadt kommen täglich bis zu 20 Jugendliche unter 21 Jahren. Im Schlupfwinkel, der tagsüber geöffnet ist, können sie Kochen, Frühstücken, Kleidung waschen oder Duschen. „Wir wollen ihnen einen Ruhe- und Schutzraum bieten“, sagt Kaiser. Denn das Leben auf der Straße ist anstrengend: Permanent unterwegs, auf der Suche nach Essen oder einem Schlafplatz - das zehrt an den Kräften.

Zurück in ein geregeltes Leben

Andreahat die Sozialarbeiter vom Schlupfwinkel im Park kennengelernt. „Wir kommen regelmäßig an die Treffpunkte der Jugendlichen“, sagt Kaiser. Mit Hilfe der Sozialarbeiter fand Andrea einen Platz in einer Unterkunft. Ihr nächstes Ziel ist es, den Hauptschulabschluss nachzuholen. Auf ihrem Weg zurück in ein geregeltes Leben wird sie weiterhin von den Mitarbeitern des Schlupfwinkels unterstützt. Etwa, wenn es um Behördengänge geht. „Uns ist wichtig, dass wir nichts über den Kopf der Jugendlichen hinweg entscheiden“, sagt Kaiser. Deshalb werden Gespräche mit den Eltern oder dem Jugendamt nur geführt, wenn die Jugendlichen einverstanden sind.

Warum Jugendliche ausreißen, hat verschiedene Gründe: „Meistens liegen die Probleme innerhalb der Familie“, sagt Kaiser: Die Jugendlichen werden misshandelt oder vernachlässigt und verlassen deshalb ihr Zuhause. Andere müssen sich allein um den Haushalt und ihre Geschwister kümmern, da die Eltern alkoholkrank oder wie im Fall von Andrea drogenabhängig sind. Wie Andrea pendeln viele Straßenkinder jahrelang zwischen Pflegefamilien, betreuten Wohngruppen und den leiblichen Eltern hin und her und fühlen sich nirgendwo daheim. Auf der Straße finden sie oft Gleichgesinnte. „Viele der Ausreißer haben auch die Hoffnung, dass sich etwas ändert, wenn sie abhauen“, sagt Kaiser. Manchmal seien die Eltern jedoch so sehr mit sich und ihren Problemen beschäftigt, dass es ihnen egal sei, wo ihr Kind stecke. „Einmal saß ein 15-jähriges Mädchen bei uns und hat geweint, da ihre Eltern sie nicht als vermisst gemeldet hatten“, sagt Kaiser. Auf der Straße leben aber nicht nur Kinder aus sozial schwachen Familien, sondern auch aus gut situiertem Elternhaus, „die sich von den Eltern nicht geliebt fühlen“, wie Kaiser sagt.

Der Lebensweg der Jugendlichen, die regelmäßig im Schlupfwinkel verkehren, ist unterschiedlich: Manche bleiben ein Leben lang obdachlos, andere fangen sich wieder nach einer kurzen Phase und versuchen, in einen geregelten Alltag zurückzufinden - genau wie Andrea.

Weitere Informationen zum Schlupfwinkel unter www.schlupfwinkel-stuttgart.de.