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„Anno dazumal“ auf dem Stuttgarter Schlossplatz: Den 200. Geburtstag des Cannstatter Volksfestes feiert Stuttgart im Herbst mit einem historischen Schausteller-Rummel mitten in der Stadt.

StuttgartSchwerter zu Pflugscharen: Dieses Motto hat der Opa von Peter Buchholz nach dem Zweiten Weltkrieg beherzigt. Aus der Gefangenschaft kommend, fand er sein 1926 gebautes Karussell in Trümmern vor, getroffen von einer Fliegerbombe. Um die Raupenbahn zu reparieren, bediente er sich bei ausgebrannten Panzern. Seitdem fahren die Gondeln auf Panzerrädern. Auch über den Schlossplatz. Dort wird die Raupenbahn vom 26. September bis zum 3. Oktober beim 1,4 Millionen Euro teuren Historischen Volksfest stehen. Nicht alleine natürlich. Es wird ein Spiegelkabinett aus den 1920er-Jahren geben, 80 Jahre alte Boxautos, eine Hutwurfbude, die bis in die 60er- Jahre auf dem Volksfest zu sehen war. Schiffsschaukeln, ein Russisches Rad. Und einen Flohzirkus. Es gibt in Deutschland nur noch das Geschäft von Robert Birk, der Flöhe Fußball spielen oder um die Wette hüpfen lässt. Er steht immer auf dem Oktoberfest in München – fürs Historische Volksfest züchte er eigens einen zweiten Flohstamm, sagte Organisator Christian Eisenhardt von der Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart. Einen Unterschied zu alten Zeiten gibt es allerdings: Mangels Vorkommen sind es keine Menschenflöhe mehr, sondern Katzenflöhe. Birk nährt sie übrigens selbst, er setzt immer 20 Stück auf seinen Arm und lässt sie saugen. Man sieht daran, viel persönlichen Einsatz muss zeigen, wer mit aus der Zeit gefallenen Attraktionen sein Geld verdienen will. Wobei das Interesse in den letzten Jahren zugenommen habe, sagte Albert Ritter, Vorsitzender des Deutschen Schaustellerbundes und der Historischen Gesellschaft Deutscher Schausteller. Nicht zuletzt, weil man in München erschöpft von der Sauferei der Jetztzeit 2010 neben dem Oktoberfest die Oide Wiesn aufbaute. Dort stehen alte Karussells und Buden, es gibt ein historisches Festzelt, ganz ohne Ballermann. Dort treten Blasmusiker auf, Volkstänzer und Schuhplattler. Bei der ersten Auflage kamen mehr als eine halbe Million Besucher. Seitdem ist die Oide Wiesn Bestandteil des Oktoberfests – und hat eine Renaissance des althergebrachten Jahrmarkts eingeleitet.

Dort hat sich auch Wulf Wager umgeschaut. Er ist beim Cannstatter Volksfestverein, Brauchtumsexperte und Inhaber einer Agentur. Vor sechs Jahren hat er die Idee eingespeist, man müsse zum Jubiläum, „unbedingt auf die Wurzeln des Festes zurückgehen, also zum Erntedankfest.“ Gegründet wurde das Volksfest ja im Jahre 1818 von König Wilhelm I. als Leistungsschau der Bauern. „1815 war in Indonesien der Vulkan Tambora ausgebrochen“, erzählt Jürgen Weisser vom Landwirtschaftsmuseum Hohenheim, „mit der Wucht von 170 000 Atombomben wurden 140 Milliarden Tonnen Gestein ausgeworfen“ und schwebte als Grobstaub durch die Luft. Auf der ganzen Welt kam es zu Missernten, die Sommer waren verregnet, Mensch und Tier verhungerten. Diese Katastrophe sollte sich nicht wiederholen, deshalb gründete Wilhelm I. nicht nur das Volksfest, sondern auch die Universität Hohenheim. Und die Ackergüterfabrik. Weisser: „Bis dahin hatten die Bauern wie im Mittelalter gearbeitet.“ Nun entwickelte und baute man in großem Stil. Etwa den Goldenen Pflug, der die moderne Landwirtschaft ermöglichte. Er wird auch auf dem Schlossplatz zu sehen sein, rund um die Fruchtsäule kann man etwas über die Geschichte der Landwirtschaft lernen.

Und man kann Gauklern, Quacksalbern, Feuerschluckern, ja dem Königspaar höchstselbst begegnen. Zudem sehen, wie richtige Trachten aussehen. Und ein Bier trinken. Während man auf dem Wasen beim Cannstatter Volksfest (28. September bis 14. Oktober) und dem Landwirtschaftlichen Hauptfest (29. September bis 7. Oktober) getrennt streitet, rufen Hofbräu und Dinkelacker für den Schlossplatz den Frieden aus. Gemeinsam brauen sie ein Jubiläumsbier. Das gibt es im Traditionszelt mit Speisen, die man anno dazumal auf dem Volksfest verzehrte: Armer Ritter, Gaisburger Marsch, Ochsenmaulsalat, Sauerampfersuppe oder Ofenschlupfer. Es gibt weder Pommes noch Cola. Dafür Most und Limo. Wie früher halt. Bleibt noch eine Frage offen. Warum heißt die Raupenbahn eigentlich Raupenbahn? Weil Sekunden vor dem Fahrtende das Verdeck herabfiel und man sich unbeobachtet von den Eltern küssen konnte: das passende Fahrgeschäft für das Jahr, in dem das Volksfest erstmals mit Stuttgart poussiert.

Hintergrund

Frühlingsfest auf Rekordkurs

Nach zwei eiskalten, nassen und mageren Jahren herrscht heuer eitel Freude beim Stuttgarter Frühlingsfest. Musste in den vergangenen Jahren die Wildwasserbahn den Betrieb einstellen, weil das Wasser zu gefrieren drohte, gab es jüngst ein ganz anderes Problem. So viele Menschen wollten mitfahren, dass die Schlange den ganzen Tag kaum kürzer wurde. „Wenn es so weitergeht, steuern wir auf ein Rekordergebnis zu“, sagte Marcus Christen, Abteilungsleiter der Veranstalterin in.Stuttgart am Donnerstag.

Bisher seien 800 000 Menschen auf den Wasen gekommen, sagt Christen. 2013 kamen insgesamt 1,5 Millionen Besucher. Es sei gut möglich, dass man dieses Ergebnis übertreffe, wenn das Wetter mitspiele. Und die Vorhersagen sind gut.

Das 80. Stuttgarter Frühlingsfest endet am Sonntag, 13. Mai. Die

Öffnungszeiten sind: Montag bis Donnerstag von 13 bis 23 Uhr, freitags und vor Feiertagen von 13 bis 24 Uhr. Samstags von 11 bis 24 Uhr, an Sonntagen und an Feiertagen von 11 bis 23 Uhr.