Gemeinsam kochen – auch das gehört zum Kurs dazu. Foto: LG/Leif Piechowski - LG/Leif Piechowski

Ein neues Angebot soll Selbstbewusstsein von übergewichtigen Mädchen und Jungen stärken. Gemeinsam kochen – auch das gehört zum Kurs dazu.

StuttgartTim schneidet still Tomaten, obwohl er die eigentlich nicht mag. Paul kümmert sich um die Zwiebeln, obwohl seine Augen tränen – und Pierre zerkleinert den Tofu und unterhält dabei die Runde. Gemeinsam sitzen die drei Teenager, die in Wirklichkeit anders heißen, in der Küche des Gesundheitsladens in der Lindenspürstraße, um etwas Gesundes zu kochen. Sie sind Teilnehmer des Projekts „Stark hoch zwei“, das sich an übergewichtige Jugendliche richtet. Die Jungen werden von Jungen im Blick betreut, die Mädchen vom Mädchengesundheitsladen. Es ist ein neues Projekt in Kooperation mit dem Stuttgarter Stufenmodell zur Prävention und Therapie von Übergewicht. Bisher mangelt es laut Gesundheitsamt in Stuttgart an Angeboten. Dabei gelten 14 000 Kinder und Jugendliche in der Landeshauptstadt als übergewichtig. Bei den 14- bis 16-Jährigen sollen es etwa 16 Prozent sein, wobei diese Zahl von 2005 ist.

Nach Unfall zugenommen

Tim zum Beispiel ist über einen Lehrer zu dem Projekt gekommen, bei anderen hat der Kinderarzt vermittelt. Vor zwei Jahren hatte der 14-Jährige einen Fahrradunfall, er musste zweimal operiert werden. „Ich hatte viele Schmerzen“, sagt er – bewegt habe er sich in der Zeit nicht. Da habe er stark zugelegt. Mit dem Fahrradfahren hat er seit dem Unfall aufgehört, Sport sei noch nie sein Ding gewesen. Er ist schwer geblieben. Sein bester Freund ist weggezogen, den vermisst er. „Auf ein paar aus meiner Klasse könnte ich verzichten“, sagt er, aber er komme zurecht.

Das Projekt „Stark hoch zwei“, das von der Eduard-Pfeiffer-Stiftung finanziert wird, setzt nicht nur bei der Ernährung und Bewegung an, sondern will auch das Selbstbewusstsein stärken. Übergewichtige würden oft ausgegrenzt und hätten ein schlechtes Selbstwertgefühl, sagt Sozialpädagogin Isabel Mentor, die die Mädchengruppe mitbetreut. Die Psyche und soziale Aspekte spielten eine große Rolle, sagt Jonas Mahlert, der die Jungengruppe mitleitet. „Wie kann es mir gut gehen? Was stärkt mich?“ Darauf sollen Jugendliche Antworten finden. Das Besondere ist, dass die Eltern in dem Projekt miteinbezogen sind. So gibt es eigene Elterncoachings. Schließlich sollten möglichst alle in der Familie mitziehen, wenn es um die Umstellung von Gewohnheiten geht. Allerdings, so die Sozialpädagogen, sei es eine Herausforderung gewesen, die Eltern zu erreichen. Nicht bei allen habe es funktioniert. Gewichtsreduktion steht in den Gruppen nicht im Vordergrund. „Es geht darum, das Gewicht zu halten und sich im eigenen Körper wohlzufühlen“, erklärt Sozialpädagogin Nadine Hahn. „Einige der Jungs waren erleichtert, als sie gehört haben, wir machen hier kein Bootcamp“, ergänzt Jonas Mahlert. So haben die Jungen und Mädchen in ihren Gruppen miteinander gekocht, sind aktiv gewesen bei Tanz, Fußball oder Geocaching, und haben zusammen überlegt, was jeder Einzelne im Alltag ändern kann. Eine Haltestelle früher aus dem Bus aussteigen zum Beispiel. Und als willkommener Nebeneffekt seien dabei Freundschaften entstanden, erzählt Mentor.

Mangelnde Bewegung ist ein Faktor, der zu Übergewicht führen kann. Bei Pierre trifft das aber nicht zu. Er spielt Fußball, fährt sogar zum Training mit dem Fahrrad. Trotzdem ist sein BMI (Body-Mass-Index) zu hoch. „Manchmal ist zu viel Stress die Ursache“, die Aussage eines der Sozialpädagogen passt zu Pierre. Er hat nachmittags meistens Schule, dazu kommt Klavierunterricht, Fußball – und das Projekt „Stark hoch zwei“. Nur freitags hat er frei: Da setze er sich nach der Schule vor den Fernseher, ziehe den Kapuzenpulli verkehrt herum an, fülle die Kapuze mit Essen, bediene sich und lasse sich berieseln. Das erzählt er ganz freimütig, als alle beim Essen zusammensitzen.

Ob sie denn etwas geändert haben aufgrund des Kurses? Ja, sagt Pierre. Statt ins Einkaufscenter in der Nähe seiner Schule zu gehen und sich dort mittags Fast Food zu kaufen, habe er sich angewöhnt, in der Zeit Fußball zu spielen. Ein Mädchen aus der Mädchengruppe erzählt, dass sie sich mehr bewege, indem sie die Strecken, die sie sonst mit der Bahn fahren würde, mit dem Tretroller zurücklegt. Auch zwei Väter hatten beim Elterncoaching ein Aha-Erlebnis. Wie sie selbst mit ihren Gefühlen umgehen, wurden sie gefragt. „Gibt es einen Raum dafür, oder wird alles in sich hinein gefressen?“, hatte Sozialpädagoge Kevin Koldewey gefragt. Dass sie, wenn sie verzweifelt sind, ihren Söhnen solche Gefühle zumuten könnten, sei für die Männer eine Erkenntnis gewesen. „Da haben sie viel mitgenommen“, sagt Koldewey.